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Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood

Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood

Titel: Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
Autoren: Michael Cordy
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später
    Es war Juni, die junge Frau spürte die kühle Nachtluft auf ihrer Haut, während sie durch die leeren Straßen lief. Irgendwo heulte die Sirene eines Krankenwagens, und vor ihren Augen entfaltete sich der klagende Ton zu einem Band aus roten und blauen Farben, das über den dunklen Himmel flackerte. Die neuen Geräusche, Bilder und Gerüche der fremden Stadt drohten ihre Sinne zu überwältigen. Wolken verdeckten den Mond und die Sterne, aber die Straßenlampen verdrängten die samtene Dunkelheit und ließen gespenstische Schatten in ihren Augenwinkeln tanzen. Um sie auf Distanz zu halten, lief sie in der Mitte des Bürgersteigs, den Blick starr geradeaus gerichtet. Mit einer Hand umklammerte sie nervös das herzförmige Medaillon an ihrem Hals, während sie sich mit der anderen durch die kurzen Haarstoppel fuhr und dabei unbewusst nach den blonden Locken suchte, die sie geopfert hatte, um nicht erkannt zu werden. Trotz allem, was geschehen war, sehnte sie sich danach, die letzten Tage einfach zu vergessen und sich wieder dem Zustand seliger Unwissenheit zu überlassen, verspürte Heimweh nach der einst so idyllischen Welt, aus der sie geflohen war.
    Auf dem Weg zum Busbahnhof kam sie jetzt durch Straßen mit Bäumen und Gärten und entspannte sich ein wenig. Die Häuser standen hier weiter auseinander, und es war ruhiger, so als würden alle um sie herum schlafen. Sogar die Geister. Sie sah zum Himmel hinauf. In ein paar Stunden würde es dämmern. Ein erleichtertes Lächeln huschte über ihr Gesicht – Sommersprossen, hervorstechende Wangenknochen und helle, gequälte Augen – und sie entspannte sich ein wenig. Vielleicht würde es ihr ja gelingen, hier draußen bei den Menschenkindern zu überleben. Sie würde mit dem Bus die Küste hinunter nach Kalifornien fahren, an den Ort, an dem sie geboren wurde, und noch einmal von vorn beginnen. Ihre Mutter hatte gesagt, es wäre schön dort und dass man sich dort unten buchstäblich neu erfinden und der Mensch werden könnte, der man immer sein wollte.
    Ein Streifenwagen näherte sich, das Brummen seines Motors eine Symphonie aus Grüntönen. Ängstlich umklammerte sie das Medaillon noch etwas fester und glitt in den unbeleuchteten Gartenweg des nächsten Hauses. Als der Wagen im Dunkel der Nacht verschwand, atmete sie erleichtert auf und lehnte sich gegen die Mauer. Doch plötzlich, als hätte sie sich an den roten Klinkern verbrannt, bog sie den Rücken durch und machte einen Satz nach vorn. Das stille, unbeleuchtete Haus unterschied sich äußerlich nicht von den anderen – zwei Etagen, geschlossene Fensterläden und ein rotes Ziegeldach –, doch sie hatte gelernt, wie sehr der Schein trügen konnte. Vorsichtig, wie ein Arzt, der sein Stethoskop an die Brust seines Patienten hält, legte sie die Handfläche gegen die Mauer. Sie war jetzt ganz weiß im Gesicht, so bleich wie der Mond, der unvermittelt zwischen den dunklen Wolken auftauchte, die über den Nachthimmel jagten. Ihr Instinkt befahl ihr fortzulaufen, diesen Ort sofort zu verlassen. Doch eine leise innere Stimme bestärkte sie darin, ihre Furcht zu besiegen und zu vertreiben. Die Hand wie eine Wünschelrute ausgestreckt, ließ sie sich von ihr an der Hauswand entlangführen. Je weiter sie ging, desto größer wurde ihre Angst, doch sie wusste, dass es kein Zurück mehr gab. Die Nacht war still, aber sie konnte Dinge hören, schreckliche Dinge, und sie konnte sehen, wie …
    Sie kniff die Augen zusammen, doch ihr inneres Auge konnte sie nicht verschließen. Den Blick nach unten auf den Steinweg gerichtet, stieg sie über etwas, das nur sie allein sehen konnte, und stand plötzlich vor einer massiven Holztür. Die Tür war verschlossen. Sie fühlte sich erbärmlich, aber sie wusste, dass dies der Moment der Entscheidung war. Kämpfen oder fliehen. Verschwinde von hier oder brech diese Tür auf. Hektisch schaute sie sich um und sah einen Lastwagen unter einem großen Carport. Daneben lag ein Stapel Holz. Und eine Axt.
    Wie in Trance griff sie danach und testete die Schärfe der Schneide. Ihr Vater hätte mit ihr geschimpft, wenn sie die Axt so stumpf hätte werden lassen, aber es würde ausreichen. Der Gedanke an ihn verwandelte ihre Angst in Wut und bestärkte sie in ihrem Entschluss. Sie nahm all ihre Kraft zusammen, atmete tief durch und schwang die Axt. Mit geübten, kraftvollen Schlägen, die man bei ihrer zarten Figur nicht erwartet hätte, schlug sie die Schneide in die Tür und versuchte
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