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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Autoren: Ralf Isau
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erneut in Bewegung gesetzt.
    Nach fünf Tagen ließ David noch einmal seine Gabe der Wahrhaftigkeit auf den Tenno einwirken. Anlass dafür war die Ausstrahlung von Trumans Antwort auf das japanische Angebot über den Sender San Francisco.
     
    Vom Augenblick der Kapitulation an werden der Kaiser und die japanische Regierung dem alliierten Oberbefehlshaber untergeordnet sein, der die ihm geeignet erscheinenden Schritte zur Einhaltung der Kapitulationsbedingungen unternehmen wird.
     
    Weil die japanischen Minister aus dieser Formulierung keinerlei Sicherheitsgarantien für ihren Kaiser hatten herauslesen können, waren sie erneut in Entschluss- und Tatenlosigkeit erstarrt. Nun, am 14. August, redete David daher in Gegenwart des Premierministers Suzuki auf den am Frühstückstisch sitzenden Hirohito ein. Er rief ihm ins Gedächtnis, was sie kurz zuvor erörtert hatten. Der »Rat der Toten« musste vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
    Hirohito berief unverzüglich eine kaiserliche Konferenz im Luftschutzbunker ein.
    Um elf Uhr früh schwitzten die Delegierten wieder in der unterirdischen Betonröhre. Nachdem die Vertreter der einzelnen Waffengattungen ihre Standpunkte wiederholt hatten, nahm Hirohito einen Schluck grünen Tee aus der Tasse, die auf einem Tischchen neben seinem Thron stand, und ergriff das Wort.
    Er habe zwar ein gewisses Verständnis dafür, dass Offiziere und Mannschaften abgeneigt seien, vor dem Feind die Waffen zu strecken und das Mutterland kampflos zu übergeben, aber die Fortsetzung des Krieges könne nur zu einem schrecklichen Ergebnis führen: »Ganz Japan wird zu Asche verglühen.« Hirohito blickte ernst in die Runde und stellte eine kluge Frage: »Wie könnte ich dann die Wünsche meiner kaiserlichen Ahnen erfüllen?«
    Die Ahnenverehrung war ein wichtiger Bestandteil des Lebens der meisten Japaner. Diejenigen unter den Anwesenden, die sich noch einigermaßen in der Gewalt hatten, verstanden sofort, worauf der Kaiser hinauswollte.
    Hirohito fiel das Sprechen schwer. Nach jedem Satz machte er eine Pause und schluckte. »Die Entscheidung, zu der ich gekommen bin, gleicht der, vor der sich mein Großvater Meiji gestellt sah. Ich wiederhole. Wie er das Unerträgliche trug, so werde ich es tragen, und so müssen Sie es tun. Es ist mein Wunsch, dass Sie, meine Minister, sich meinem Verlangen fügen und die Antwort der Alliierten ohne Zögern akzeptieren. Das Volk soll von meinem Entschluss erfahren. Deshalb weise ich Sie an, unverzüglich einen Kaiserlichen Erlass vorzubereiten, damit ich über den Rundfunk zur Nation sprechen kann. Schließlich rufe ich jeden von Ihnen zur größten Anstrengung auf, lassen Sie uns die kommenden Tage der Prüfung gemeinsam bestehen.«
    David, der die japanische Mentalität wie nur wenige Europäer kannte, erlebte nun etwas Unglaubliches: Die Minister, Militärs und weisen Staatsmänner begannen zu weinen. Er wusste, auch Hirohito hatte in den letzten Tagen Tränen vergossen, doch jetzt blieb er fest. Der Tenno wollte, dass man seine Worte endlich – und wenn auch nur dieses eine Mal – ernst nahm. Die Konferenzteilnehmer mussten sich beugen. Dies war Hirohitos größte Stunde.
     
     
    Der Kaiser von Japan hatte noch nie öffentlich zu seinem Volk gesprochen. So etwas gehörte sich einfach nicht. David musste ihn in den Stunden nach der Bunker-Konferenz immer wieder beruhigen, Hirohito war sehr aufgeregt. Das Kabinett erarbeitete auf der Grundlage seiner Erklärung vom Morgen eine kleine Rede. Weil eine Rundfunkansprache des Tennos etwas Unerhörtes darstellte, wurde der Text auch drei chinesischen Gelehrten zur Prüfung und Berichtigung vorgelegt. Schließlich war der Erlass ein historisches Dokument von großer Bedeutung. Stilfehler konnte man sich da nicht erlauben.
    Kurz vor Mitternacht begleitete David den Tenno in seinem fünfzehn Jahre alten Rolls-Royce zum Gebäude des Kaiserlichen Ministeriums. Wegen eines Fliegeralarms lag der ganze Palastbezirk in tiefen Schatten. Unbehelligt erreichte man das im Sternenlicht dunkel aufragende Gebäude, wo bereits Geheimsiegelbewahrer Kido den Kaiser erwartete. Die Erklärung sollte hier auf eine Schallplatte aufgenommen werden.
    Hirohito war so nervös, dass der Tontechniker ihn immer wieder mahnen musste, mit normaler Stimme zu sprechen. David fungierte als Mittler. Der Rundfunkmann brachte es einfach nicht fertig, seinen Gott-Kaiser persönlich zu korrigieren.
    Während Hirohito noch eine Ersatzplatte
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