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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Autoren: Ralf Isau
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Thronfolger waren anwesend. »Sicher, als Kaiser sollst du deinem Volk ein Vorbild sein. Das ist eine große Verpflichtung, aber deshalb musst du kein Asket werden und jeglicher Freude entsagen. Erinnere dich doch, wie die Tour durch Europa dein Leben bereichert hat. Nun hast du Gelegenheit, als Botschafter deines Landes sogar durch die ganze Welt zu reisen. Du bist jetzt frei.«
    »Ja, wie ein Kanarienvogel, dessen Käfigtür offen steht und zu dem gesagt wird: ›Flieg, wohin du willst!‹ Wohin soll ich denn fliegen, David-kun? Ich muss mein Lied singen. Soll ich es draußen tun, wo es der Wind verweht?«
    »Selbst hier könntest du es trällern, damit die ganze Welt es vernimmt.«
    Hirohito sah David fragend an. »Wie meinst du das?«
    »Warum richtest du dir kein Labor im Palast ein, Hito-kun? Du könntest dir Krabben, Krebse oder was weiß ich aus der Bucht von Sagami hierher bringen lassen und die Tiere in Ruhe untersuchen. Dann schreibst du ein Buch über deine Erkenntnisse. Ich bin überzeugt, die ganze Welt würde es beachten.«
    »Denkst du, das könnte ich tun?«
    David lächelte seinen Freund an. »Durch dein Wort wurde der Krieg beendet. Wer sollte dir verbieten, dich intensiver um deine Forschungen zu kümmern?«
    Zum ersten Mal seit langer Zeit stahl sich ein Lächeln auf Hirohitos Gesicht. Er sah zu Nagako hinüber, die ihm aufmunternd zunickte. Auch Prinz Akihitos Augen strahlten erwartungsvoll, als hätte David ihm das Angebot gemacht, nach Herzenslust in glitschigen Algen herumzuwühlen.
    Hirohito nickte. »Der Vorschlag ist gut, David-kun.«
    »Das will ich meinen. Du musst noch eine Mauer niederreißen, dann beginnt für dich ein neues Leben. Wenn es dein Wille ist, nur noch der ohoribata, der ›Ehrenwerte jenseits des Grabens‹ zu sein, gut – aber um das letzte Opfer kommst du nicht herum. Selbst wenn du deine Freiheit aus eigenem Willen beschneidest, musst du es um deines Volkes willen tun.«
    Hirohito verstand genau, was David meinte. Und er tat es. Am 1. Januar 1946 ließ er einen kaiserlichen Erlass veröffentlichen.
     
    Wir stehen Unserem Volk treu zur Seite und haben den Wunsch, mit ihm stets die Augenblicke der Freude und Trauer zu teilen. Gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Zuneigung haben immer schon die Bande zwischen Uns und Unserem Volk gebildet. Diese Bindungen ergeben sich nicht aus Sagen und Mythen, sie haben nichts zu tun mit der falschen Vorstellung, der Kaiser sei göttlich, das japanische Volk anderen Völkern überlegen und ihm allein bestimmt, die Welt zu beherrschen.
     
    Damit war es heraus. David atmete auf. Endlich kann Hito Mensch sein. Glücklich beobachtete er, wie sich sein Freund Nagako zuwandte und sagte: »Spürst du irgendeinen Unterschied? Wirke ich jetzt menschlicher auf dich?«
    »Ich habe mir eine famose Überraschung für dich ausgedacht, David-kun. Du bist immerhin der Retter von Millionen Japanern.« Hirohitos Lippen zuckten, als könne er seine Freude kaum verbergen. Seit seiner Rundfunkansprache vor zwei Wochen war er ein neuer Mensch geworden.
    Vielleicht sogar zum ersten Mal ein richtiger Mensch, dachte David, der sich für seinen Freund freute. Dessen großartige Idee allerdings stimmte ihn misstrauisch. Ihm schwante da schon etwas, das ihm nicht besonders gefiel, und das hörte man seiner knappen Erwiderung auch an.
    »Nein.«
    »Natürlich bist du das.«
    »Ich meinte, tu das nicht, Hito-kun. Ich bin immerhin dein Freund.«
    »Was soll ich nicht tun?«
    »Nun markier nicht das Unschuldslamm. Ich weiß genau, was du im Schilde führst.«
    Bei seiner Erwiderung bemühte sich der japanische Kaiser um eine strenge Miene, allerdings nur mit bescheidenem Erfolg. »Ich bin nun zwar kein Gott mehr, aber doch nicht ganz ohne Macht. Wenn du auch nicht direkt zu meinen Untertanen zählst, solltest du dir gut überlegen, ob du dich meinem Befehl widersetzt.«
    David verdrehte die Augen zur Decke und seufzte ergeben. »Also gut, mein Kaiser. Dann befiehl.«
    Jetzt grinste Hirohito, sogar auf höchst verschlagene Weise. Sein Streich schien ihm ein diebisches Vergnügen zu bereiten. Man konnte es aus jeder Silbe hören, als er David genüsslich verkündete: »Ich habe heute früh beschlossen, dir Japans höchsten Orden zu verleihen.«
    Eine Fessel war von David abgefallen. Im Rückblick entpuppte sich der Zweite Weltkrieg für ihn als langer dunkler Alptraum. Im Vergleich zum ersten großen Krieg hatte diese Neuauflage des Massenschlachtens ein
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