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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Autoren: Ralf Isau
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können.«
    »Ihr seid sehr tapfer, Gräfin. Ich danke Euch.«
    Mit putzigen kleinen Schritten entschwand die beherzte Hofdame samt Schallplatte.
     
     
    Niemand im Palastbezirk bekam während der Nacht vor der Rundfunksendung auch nur ein Auge zu. Die Rebellen nicht, weil sie trotz verzweifelter Suche mit immer trüber werdenden Taschenlampen einfach keine Schallplatte finden konnten. Die Bibliotheksinsassen nicht, weil sie Zweifel am Respekt der Aufständischen vor ihrem Gott-Kaiser hatten. Baron Kido nicht, weil er mit Ishiwata, einem anderen Hofbeamten, im Keller voller Furcht auf Rettung harrte. Und etliche Kaisertreue im Palast ebenfalls nicht, weil sie über eine Telefonleitung, welche die Rebellen in ihrer Aufregung vergessen hatten zu kappen, mit dem Marinehauptquartier in Verbindung standen und den Gegenschlag ausbaldowerten.
    Bald stürmte General Tanaka, der Kommandeur der Ostarmee, über den Schlossgraben in den Palastbezirk. Er und seine Männer waren hinreichend mit Taschenlampen bestückt, was ihnen die Lokalisierung der Rebellen ungemein erleichterte. Als der General den Anführer der Meuterer, einen gewissen Major Hatanaka, gestellt hatte, schrie er ihn erst einmal in Grund und Boden.
    Der Chefrebell nahm die Standpauke mit auf die Stiefelspitzen gesenktem Blick entgegen. Nachdem Tanaka das Hauptvergehen des Angeklagten – Majestätsbeleidigung – wortgewaltig geschildert hatte, zog der belastete Offizier auf vorbildlich japanische Art Konsequenzen: Er entschuldigte sich umgehend für das eigene schändliche Verhalten und das seiner Männer und ließ die Einheiten über den Schlossgraben abrücken. Auf dem weiten Vorplatz des Palastes verbeugten sich dann alle Rebellen ehrfürchtig vor ihrem (unsichtbaren) Kaiser und warfen sich in die Schwerter.
    Hirohito hatte seit dem rituellen Selbstmord seines Lehrmeisters, des Grafen Maresuke Nogi, nie rechte Freude an derartigen Ergebenheitsadressen gefunden. Als er daher am Morgen von der Sühnedemonstration seiner Gardisten erfuhr, schüttelte er nur traurig den Kopf.
    Nicht wenige seiner Untertanen folgten in den nächsten Stunden dem Beispiel der Rebellen. Ob nun Frustration über die persönliche Fehlleistung und der Unwille, sich vor einem wie auch immer zusammengesetzten Gericht für die eigenen Freveltaten zu verantworten, Anlass zu diesem Massenseppuku gaben oder doch ein Gefühl der Reue, wird wohl nie geklärt werden können. Der Kriegsminister General Anama schrieb vor der Selbstentleibung noch einen Entschuldigungsbrief an den Kaiser. Und bevor sich Vizeadmiral Onishi, der Gründer des Kamikaze-Korps, den Bauch aufschlitzte, bat er seine Männer noch um Vergebung dafür, dass er dieses einfachen Todes sterbe.
    Als am 15. August 1945 zum ersten Mal die Stimme des Tennos über den Äther ging, lebten daher viele der »Traditionalisten« nicht mehr. Dank einer eilig von der Regierung befohlenen Sonderzuteilung an Strom konnten alle Japaner, die über ein Radiogerät verfügten, dieses auch einschalten. Bei Hirohitos ersten Worten verstummte das ganze Land. Die Menschen verbeugten sich ehrfurchtsvoll vor den Apparaten.
    Bedauerlicherweise verstanden viele Söhne und Töchter Nippons nicht, was der Nachfahre der Sonnengöttin ihnen da klarzumachen versuchte. Das lag aber nicht an etwaigen mangelhaften Lautsprechern, sondern war auf die altertümliche höfische Sprache zurückzuführen, derer sich der Tenno bediente. Der Kaiser hatte sich ja noch nie mit seinen »einfachen« Untertanen unterhalten. Den gestrengen chinesischen Stilberatern musste diese Nebensächlichkeit ganz entgangen sein. Geringer an Zahl jedoch als diejenigen, die ihren Gott-Kaiser verstanden, waren die anderen, die auch begriffen, was er ihnen beizubringen suchte.
    »Unseren guten und treuen Untertanen kund und zu wissen«, knisterte Hirohitos nervöse Stimme aus den Lautsprechern.
     
    Nach gründlicher Erwägung der allgemeinen Entwicklung und der Umstände, die gegenwärtig in Unserem Reich vorherrschen, haben Wir heute beschlossen, die augenblickliche Situation durch eine außergewöhnliche Maßnahme endgültig zu regeln. Wir haben Unsere Regierung angewiesen, den Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Chinas und der Sowjetunion mitzuteilen, dass Unser Reich die Bedingungen ihrer gemeinsamen Proklamation annimmt …
     
    Die Worte des Kaisers spiegelten sein verzweifeltes Bemühen wider, die katastrophale Niederlage in einem milderen Licht erscheinen zu
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