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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition)
Autoren: Manuela Reizel
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verlorenen Teil meiner selbst wiedergefunden. Einen Teil, der notwendig war, um das Quine zu vollenden, und der nun keine Bedrohung mehr darstellte, sondern eine Gabe. Während die Sonne glutrot im Meer versank und Mayas Konturen sich allmählich verwischten, empfand ich ein tiefes Gefühl der Demut.
    Spät am Abend schickte ich eine kurze Mitteilung über international-seagull, und am nächsten Tag machte ich einen Abstecher nach Bogotá. Die Eindrücke des vergangenen Abends ließen mich nicht los, während ich den Kranich in einen Umschlag steckte und mit Ralfs Adresse versehen in einem kolumbianischen Postamt aufgab. Ralf würde ihn dann seinem eigentlichen Bestimmungsort zuführen.
    Als ich wieder auf die Straße hinaustrat, hatte ich einen Entschluss gefasst. Der Asphalt schimmerte schneeweiß und staubig, die betäubende Mittagshitze verursachte mir Schwindel, und weit und breit war kein Mensch zu sehen.
    Leise vor mich hin singend schlug ich eine andere Richtung ein.
„Denn die einen sind im Dunkeln … Und die andern sind im Licht … Und man sieht nur die im Lichte … Die im Dunkeln sieht man nicht …“

25
    Als am Mittwochvormittag das Telefon auf Martin Beiers Schreibtisch klingelte, ahnte der, den in Unterweltkreisen alle nur unter dem Pseudonym
Prick
kannten, noch nichts von den dunklen Wolken, die sich über ihm zusammenbrauten.
    Mikael Andersson hatte in den vergangenen beiden Tagen keine Zeit vergeudet. Er hatte nicht nur die Freunde vom Stuttgarter Chapter darauf angesetzt, sondern sich auch in einigen Nachbarstädten umgehört, dabei kam ihm zugute, dass es eine ganze Reihe Leute gab, die ihm den einen oder anderen Gefallen schuldeten. Und die Jungs waren auf Draht! Sie hatten praktisch das Monopol auf die Eingänge sämtlicher Clubs der Region, vom Handel mit allem, was man in Kaufhäusern nicht bekommt und den Mädchen ganz zu schweigen. Erwartungsgemäß dauerte es nicht lange, bis die ersten Hinweise eingingen. Kalle sammelte, prüfte, wertete aus, ließ es sich schließlich nicht nehmen, der heißesten Spur höchstpersönlich nachzugehen. Erst als er sich vollkommen sicher war, informierte er Martin Beier.
    Das Gespräch war kurz und es fand unter vier Augen statt.
    „Er nennt sich selbst Söldner, aber die Bezeichnung Killer trifft es wohl eher. Lässt sich von jedem anheuern, Hauptsache, die Kohle stimmt. Seinen Namen verdankt er der Tatsache, dass er seinen Opfern gern eine Überdosis verpasst. Heroin oder Morphium. Vorher betäubt er sie meist mit irgendwelchen Medikamenten. Oder er ertränkt sie. Es heißt, weil er nicht gern Blut sieht. Er ist ein Profi, hinterlässt keine Spuren oder Zeugen – und keiner spricht freiwillig über ihn.“
    „Danke, Mikael. Gute Arbeit. Wenn du irgendwann mal in Schwierigkeiten sein solltest …“
    „Geht klar.“ Mikael Andersson stand auf und ging zur Tür.
    „Kalle …“
    Er wandte sich noch einmal um.
    „Warum?“
    „Lukas war ein Freund.“
    Martin Beier nickte. „Ich … liebe meine Tochter wirklich sehr, weißt du.“
    „Eva wird nichts passieren. Ich passe auf sie auf.“
    Das SEK stürmte die Lagerhalle in Untertürkheim, direkt am Neckarhafen, um die Mittagszeit. Der Einsatz lief schnell, professionell und unblutig ab, und als Martin Beier die Halle betrat, spürte er zum ersten Mal seit elf Tagen so etwas wie Erleichterung. Fünf Männer wurden in Handschellen abgeführt, darunter der mutmaßliche Angreifer Thomas Lamprechts. Die Menge der in diversen Kisten sichergestellten vollautomatischen Waffen sowie das hochprofessionelle Druckplattenset zur Herstellung von Fünfzig-Euro-Scheinen würde problemlos ausreichen, um die muntere Gesellschaft für einige Zeit nach Stammheim wandern zu lassen.
    Doch damit endeten die guten Nachrichten auch schon. Die erkennungsdienstliche Behandlung auf dem Revier ergab, dass alle fünf russische Staatsbürger und einschlägig vorbestraft waren. Als Martin Beier klar wurde, mit wem er es zu tun hatte, sank seine Hoffnung, dass die Vernehmung schnelle Ergebnisse in Bezug auf die Fälle bringen würde, um die es ihm eigentlich ging. Er versuchte, sich nichts davon anmerken zu lassen, als er um 16:45 Uhr den Vernehmungsraum betrat und das Tonbandgerät einschaltete.
    „Ich bin Martin Beier von der Mordkommission. Möchten Sie einen Kaffee?“
    Der Mann, der ihm gegenübersaß, blickte ihn an wie ein Boxer kurz vor dem entscheidenden Kampf. Er mochte in seinen Vierzigern sein. Genaueres hatte die
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