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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition)
Autoren: Manuela Reizel
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Kartei nicht hergegeben. Keine genaue Herkunft, keine aktuelle Adresse. Nur einen Namen. Seit seiner Verhaftung hatte er nicht ein einziges Wort gesprochen.
    „Herr Igor Smirnow – oder soll ich Sie lieber
Prick
nennen? Sie können ruhig mit mir sprechen. Ich weiß, dass Sie unsere Sprache beherrschen. Wir hatten bereits das Vergnügen – am Telefon.“ Natürlich war das spekulativ, doch es funktionierte.
    „Ach ja?“
    Volltreffer. Es war dieselbe Stimme, die sich auf Lukas’ Handy gemeldet hatte. „Ja. Ich hätte gerne gewusst, wo Sie sich am vorletzten Wochenende aufgehalten haben, speziell am Freitag und Samstag.“
    „Ich hatte geschäftlich zu tun. In der Ukraine.“
    „Kann das irgendjemand bezeugen?“
    „Meine Kunden legen Wert auf Diskretion.“
    „Kann ich mir vorstellen. Ich habe eine andere Version. Sie waren hier in Stuttgart und haben in einem Appartement an der Neuen Weinsteige einen Mann fast totgeprügelt. Ich möchte wissen, warum.“
    „Das müssen Sie mir erst mal nachweisen.“
    „Keine Sorge, das werden wir. Sie haben geschlampt bei dieser Sache. Sie haben einen Zeugen hinterlassen. Das ist nicht Ihr Stil. Warum?“
    „Und der Zeuge … hat mich identifiziert?“
    „Noch nicht.“
    „Aber Sie haben sicher Fingerabdrücke von mir gefunden?“
    „Überspannen Sie den Bogen nicht. Nach Stammheim gehen Sie sowieso. Aber vielleicht fällt das Urteil ja etwas milder aus, wenn Sie uns jetzt helfen.“
    Pause.
    „Und wie?“
    „Ich möchte wissen, wer Ihre Auftraggeber für die Sache an der Weinsteige waren, denn das gehört nicht zu der Art von Job, die Sie mit Ihren Laufburschen gewöhnlich durchziehen. Und vor allem möchte ich wissen, was mit Lukas Stegmann passiert ist.“
    „Mit wem?“
    „Haben Sie ihm einen Schuss verpasst, wie Sie es so gerne tun? Oder ihn einfach nur betäubt und dann im See versenkt? Ich will wissen, wo die Leiche ist.“
    „Keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“
    Martin Beier schaltete das Tonband ab. „Okay. Ihre Entscheidung. Ich lasse Sie jetzt allein und schlage vor, dass Sie noch mal nachrechnen. Nennen Sie es meinetwegen Berufskrankheit, aber ich bin davon überzeugt, dass Lukas Stegmann ermordet wurde. Und mein Bauch sagt mir, dass es irgendetwas mit seinem verschwundenen Notebook zu tun hat. Er konnte ziemlich gut mit Computern umgehen, wissen Sie. Und an dieser Sache liegt mir ganz persönlich etwas. Für das, was wir in der Halle gefunden haben, kriegen Sie eine Handvoll Jahre. Aber wenn ich Ihnen einen Mord nachweise, kann schnell lebenslänglich daraus werden.“
    „Ich will einen Anwalt.“
    Thomas Lamprecht saß am Wohnzimmertisch und starrte ins Leere. Die Krücken standen neben ihm an den Stuhl gelehnt. Sein Bein schmerzte höllisch, der komplizierte Bruch wollte nicht verheilen. Wahrscheinlich hatte sich eine Entzündung gebildet, vielleicht war es sogar eine Infektion mit den multiresistenten Keimen, von denen zurzeit alle sprachen. Doch das interessierte ihn nicht wirklich. Der Schmerz, der ihn auffraß, der ihn innerlich verzehrte, war ein anderer. Für Judith und Nina, für die kleine Familie, von der er geträumt hatte, und die nun zum Greifen nahe schien, hatte er gekämpft. Er hatte sich aus dem Krankenhaus heraus und zurück in die Welt gekämpft, nicht wissend, was ihn dort erwarten würde, doch nun drohten ihn erneut die Kräfte zu verlassen.
    Dass er überlebt hatte, war ihm nach wie vor ein Rätsel und musste für die andere Seite ein beklagenswertes Missgeschick sein. Trotzdem hielt er es für unwahrscheinlich, dass von der Organisation noch irgendeine Gefahr für ihn, Judith oder das Kind ausging – vorausgesetzt, er hielt den Mund. Sie wussten, dass bei ihm nichts mehr zu holen war. Vor allem aber wussten sie jetzt – und das war das Schlimmste – wo sie
wirklich
suchen mussten. Der Kommissar hatte von Suizid gesprochen, doch Lamprecht wusste es besser. Er hatte Lukas nicht verraten, er war bereit gewesen, für ihn zu sterben, doch er hatte es trotzdem nicht verhindern können. Er allein hatte zu verantworten, was auch immer geschehen war. Wie konnte er auf diesem Bewusstsein eine Zukunft aufbauen?
    Wieder hatte Judith ein wunderbares Essen für ihn gekocht, und wieder hatte er es kaum wahrgenommen. Als sie nun aus der Küche kam, tat sie ihm leid.
    „Hast du Schmerzen?“
    Er schüttelte den Kopf. „Was macht Nina?“
    „Spielt in ihrem Zimmer. Sie ist so … glücklich, dass du wieder da bist. Und ich
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