Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krake

Der Krake

Titel: Der Krake
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
seinem schockierten Blick stand. »Zeit für eine andere FSRC-Zelle, Boss. ›Boss.‹« Sie zeichnete Anführungsstriche in die Luft. »Ich steige die Karriereleiter rauf.« Collingswood lächelte.

Teil Sieben
    HELD = FLASCHE

82
    An einem stillen Ort nahe der Bahnlinie in einem Winkel der Stadt säumten ausrangierte Statuen die Quartiere. Dieser beständige Augenblick urbaner Sentimentalität bildete einen Rückzugsort für nicht länger geachtete oder erwünschte Mementos. In ihnen schlief Wati. Nur seine Freunde wussten davon.
    Nach Abschluss jener ungewissen Katastrophe, die nicht stattgefunden hatte, hatte er sich aus Marges Kruzifix herausgeschlichen. Nun schlief er den Schlaf eines Besiegten. London war vor welcher Gefahr auch immer mit seiner Hilfe gerettet worden, irgendwas hatte es da gegeben, aber seine Gewerkschaft hatte ihren Kampf verloren, und die neuen Verträge waren punitiv, feudal. Billy war froh, dass Wati das Schlimmste von all dem verschlafen durfte, obwohl er sich deswegen heruntermachen würde, sobald er erwacht wäre und bevor er sich der Aufgabe widmen würde, die Bewegung neu aufzubauen.
    »Bist du traurig?«, fragte Saira, die ihm gegenübersaß. Sie saßen zusammen in seiner Wohnung. Nach all dieser Nacht, all diesem allem, hatte er sie gefunden. Er hatte jemanden in seiner Nähe gebraucht, der gesehen hatte, was er gesehen hatte.
    Zuerst hatte er Collingswood angerufen. »Fahren Sie zum Teufel, Harrow«, hatte sie ihm recht freundlich beschieden, und er hatte ein statisches Quieken gehört, das ihn an die aufgeregte Stimme eines Schweins erinnerte, ehe sie die Verbindung unterbrach. Als er es noch einmal versuchte, verwandelte sich sein Telefon in einen Toaster.
    »Schon, gut, schon gut«, hatte er gesagt, ein neues Telefon gekauft und sie nicht noch einmal angerufen. Stattdessen hatte er Saira aufgestöbert. Das war nicht schwer gewesen. Sie besaß noch immer die Sachkenntnis, die sie erworben hatte, war aber keine Londonmantikerin mehr. Die verkaterten Reste ihrer Kunsterei nutzte sie nun vorwiegend dazu, kleine Stücke von London solange zwischen den Fingern zu drehen, bis sie zu Zigaretten geworden waren, die sie anschließend rauchte.
    Keiner von beiden war sich der Details wirklich sicher. Sie hatten den Angriff auf die See gesehen, doch welchem Zweck er gedient hatte, daran konnten sie sich nicht mehr erinnern. »Bist du er?«, fragte sie Billy zögerlich. Das Thema war ihr unangenehm, trotz der vielen Zeit, die sie neuerdings miteinander verbrachten.
    »Nicht so ganz«, sagte er. »Ich kannte ihn gar nicht.«
    Dieses Ihn, das war der Mann, der gestorben war: der frühere Billy, der erste Billy, der Billy Harrow, der aus dem Meereshaus hinausteleportiert worden war, in dem sie sich alle aus Gründen aufgehalten hatten, an die sie sich alle erinnern konnten, auch wenn diese Gründe sich nicht wirklich eingeprägt hatten. Er war in Teile zerlegt worden, kleiner als seine Atome.
    »Er war tapfer«, sagte Billy. »Er hat getan, was er tun musste.« Saira nickte. Er hatte nicht das Gefühl, er würde sich selbst loben, obwohl er wusste, dass er, dieser Billy, in exakt dem gleichen Maße tapfer sein musste wie sein Vorgänger.
    »Warum hast du ... hat er ... es getan?«, fragte sie.
    Billy zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Er musste. Wie Dane gesagt hat - erinnerst du dich an Dane?« Dane war gestorben. Dessen war er gewiss. »Ehe dieser, ehe Grisamentum ihn abgemurkst hat.« Grisamentum war auch erledigt. »Es gibt eine Menge Leute, die gar nicht großartig darüber nachdenken würden, auf diese Weise zu reisen. Es wird nur zum Problem, wenn man es weiß.« Inwieweit man sich von der Tatsache beeindrucken ließ, dass es grundsätzlich tödlich war, hing ausschließlich von der Betrachtungsweise ab.
    »Ich versuche ständig, mich zu überrumpeln«, sagte er. »Ich versuche immer wieder, ganz plötzlich zu schauen, ob ich mich an Dinge erinnere, die nur er wissen konnte. Der Erste. An Geheimnisse.« Billy lachte. »Das mache ich dauernd.« Er hegte keine Besitzansprüche hinsichtlich der Erinnerungen, die er geerbt hatte, als er aus Molekülen in der Luft geboren worden war, in diesem Tankraum, gerade vor ein paar Tagen im Zuge des ausglühenden Endes einer Katastrophe.
    Dane fehlt mir, dachte er. Er wusste nichts Genaues über Dane, im Grunde wusste er nicht einmal, dass er ihn vermisste; aber wann immer er an ihn dachte, war Billy sehr, sehr traurig über das, was Dane
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher