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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen
Autoren: James Morrow
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Träume,
Francie? Erzähl mir nicht, daß die ausgefallenen Sachen
genau meine Kragenweite seien – das hab ich alles schon
gehört. Was ist mit den Altären des Herzens? Was ist
mit…«
    »Quinjin, ich brauche Hilfe.«
    »Laß mich raten. SUPEREGO will die Show
absetzen.«
    »SUPEREGO will die ganze gottverdammte Traumindustrie
stillegen. Die Situation erfordert natürlich mehr als eine
simple Rezension. Sie erfordert einen Konterschlag, und du
bist der Mann, der ihn schreiben kann.«
    SUPEREGO. Unerfreulich. Äußerst unerfreulich. Das war
nämlich die Gruppe der ›Säuberer der
Unterhaltungsindustrie durch Prinzipienfeste Erneuerung und
Restaurierung von Ethik und Göttlicher Ordnung‹. Die Zahl
der SUPEREGOisten wuchs mit jedem Tag, und meine Chefin war
keineswegs paranoid, wenn sie andeutete, daß sie die Macht
hatten, das Zephapfelessen zu verbieten. Die SUPEREGOisten redeten
viel von Gott. Sie wußten genauestens über Gottes
Ansichten zu allem und jedem Bescheid.
    Ich küßte Francie heimlich auf ihre Glaslippen.
»Du glaubst doch nicht, daß dieser Vorfall der Vorbote
eines neuen Vorka-Massakers ist, oder?«
    Ihre übliche Forschheit verflog. »Das Vorka-Massaker ist
doch Schnee von gestern«, fauchte sie. »Es hat nichts mit
Fällen wie diesem zu tun, weder damals noch jetzt, noch in
Zukunft. Das war was ganz… anderes. Wenn du Vorka in deinem
Artikel erwähnst, kannst du mal erleben, was redaktionelle
Bearbeitung heißt.«
    Perfektes Wort: was anderes. In den folgenden fünf
Jahren würde sich allmählich zeigen, inwiefern die
Ereignisse im Vorka-Psychosalon was anderes gewesen waren.
Aber an diesem Morgen wußte ich nichts weiter über Vorka
als das, was die grimmige Statistik besagte. Ich wußte,
daß vierhundertsechs Personen Eintrittskarten für eine
Matinee gekauft hatten… daß vierhundertsechs Personen
Zephäpfel gegessen hatten… daß vierhundertsechs
Personen angenommen hatten, sie würden sich eine harmlose
romantische Komödie zu Gemüte führen… daß
vierhundertsechs Personen anscheinend etwas anderes untergeschoben
bekommen hatten… und daß vierhundertsechs Personen
wahnsinnig geworden waren. ›Massaker‹ war natürlich
eine Übertreibung. Keins der Vorka-Opfer war gestorben. Aber man
hatte sie alle in die Klapsmühle stecken müssen, hinter
doppelte Schlösser und in stählerne Zwangsjacken, und kein
einziger von ihnen war auch nur ansatzweise wieder zu Sinnen
gekommen. Der Übeltäter hatte nicht identifiziert werden
können, das Motiv war unergründlich und das Verbrechen
ungelöst geblieben. Und seit Vorka lebte die Welt in der Furcht,
daß die Seuche erneut auftreten könnte.
    Das Geklapper der Denkmaschinen begann aus dem Lautsprecher meines
Vidiphons zu dringen, aber Francies erregte Stimme
übertönte es mühelos. »Ich will eine
Meisterleistung sehen, Quinjin. Ein Monumentalwerk. Wir verteilen es
auf die nächsten drei Ausgaben. Schaff diese Suzie-Freed-Sache
aus der Welt und erzähl uns dann die ganze übelriechende
Geschichte der Traumzensur – von den Bücherverbrennungen
bis heute. Dein Honorar geht raus, sobald ich das Manuskript auf dem
Schreibtisch habe.«
    »Dann wird nie ein Manuskript bei dir eingehen.«
    Francie zeigte mir ein sprödes Lächeln und schaltete
ihre Kamera aus. »Dein Scheck ist unterwegs.«
     
    Der Keller meines Wohnhauses grenzte erfreulicherweise an eine
Troglobus-Station, so daß kein Salon in Shadu City weiter als
fünf Minuten von meiner Denkmaschine entfernt war.
Natürlich wurden viele renommierte Zephäpfel nie in Shadu
City gespielt. Manche wurden sogar niemals auf meinem Heimatplaneten
Zahrim gespielt, dem einzigen Gefangenen meines Heimatsterns
Alpheratz; ich war ein erfahrener Überlichtreisender.
    Als ich in meinen Gummigaloschen, die mir bis zu den Schienbeinen
gingen, auf dem unterirdischen Bahnsteig herumlief und es kaum
erwarten konnte, daß der Bus durch den Tunnel angerauscht kam,
merkte ich erst, wie sauer ich auf meine Redakteurin war. Sie hatte
es zwar nicht offen gesagt, aber sie war ganz eindeutig nicht
gewillt, meine Ansichten über die Altäre des Herzens zu erwerben. Schon richtig, es war ein konventioneller Traum, der
dem Medium keine neuen Seiten abgewann, aber er war es trotzdem wert,
daß Traumkapseln Entschlüsselt breiter als nur in
Form der üblichen Kurzkritik über ihn berichtete.
    Als der Bus kam, war mein Ärger verraucht. Auf Francie Lern
dauerhaft wütend zu sein war kein leichtes Unterfangen, denn
wenn
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