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Der Königsschlüssel - Roman

Der Königsschlüssel - Roman

Titel: Der Königsschlüssel - Roman
Autoren: Boris Koch
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auf dem Balkon saß. Nicht die zahlreichen Höflinge, und schon gar nicht die vier Palastwachen, die am Rande des Balkons standen und in bunten, tadellos geputzten Uniformen steckten.
    Equu hatte Cephei erzählt, die Palastwachen könnten besser lächeln als kämpfen, zumindest sagte das sein Ritter, wenn er betrunken und mit der Welt unzufrieden war. Lächeln konnten sie zweifellos, und gegen wen sollten sie auf dem Balkon auch kämpfen? Es gab niemanden, der es gewagt hätte, den Mechanischen König anzugreifen.
    Dicht beim König stand der Kanzler, aber er zog auch an diesem Tag nicht viel Aufmerksamkeit auf sich. Das taten die auffällig herausgeputzten Höflinge und Hofdamen, die auf den
Balkon geströmt waren, um sich dem Volk zu zeigen und sich einzubilden, dass der Jubel für den König auch ein wenig ihnen selbst galt.
    Und während sie alle winkten und sich beobachten ließen, bemerkte Cephei in einer Fensterleibung halb verborgen ein Mädchen, dessen braune Locken wie das lange Fell eines Muths aussahen. Ihre Kleidung war schön und sicherlich aus teurem Stoff, aber sie trug Hosen und kein Kleid wie die anderen Hofdamen, und auch kein funkelndes Diadem im Haar. Und vor allem winkte sie nicht. Sie war wohl in seinem Alter und beobachtete ebenso gespannt wie er das Treiben auf dem Balkon, zu dem sie nicht richtig zu gehören schien.
    »Na, Erdwühler, wie gefällt dir das alles?«, fragte Cephei seinen Freund, aber das Tier reagierte nicht. Es hob nur den Schnabel in die Luft und drehte ihn hektisch in alle Richtungen. Ein kühler Windhauch streifte Cephei.
    In diesem Moment erschallten wieder die Posaunen, riefen mit den sieben königlichen Tönen nach Aufmerksamkeit, und Cephei blickte zum Balkon. Eben trat der Königsmechaniker aus dem Schloss. Neben ihm ging eine junge Frau, die noch breiter lächelte als der König und auf deren hochgesteckten blonden Haaren ein silbernes Krönchen balancierte. Sie trug ein enges rosa Kleid und eine breite glitzernde Schärpe, auf der Schlüsselfräulein geschrieben stand. Sie war die diesjährige Schlüsselkönigin, und Cephei hielt sie für viel schöner als die vom letzten Jahr. Sie konnte eleganter schreiten als jede andere,deshalb trug sie den Königsschlüssel auf einem weichen, grünen Kissen neben dem Mechaniker her, der einen weit weniger reizvollen Anblick bot.
    »Der Schlüssel! Der Schlüssel!«, riefen einige in der Menge. Und sofort fielen die meisten mit ein.

    Ein Scherzbold unter Cepheis Baum brüllte: »Die Schlüsselkönigin! Die Schlüsselkönigin!«, aber dann sah ihn die Frau an seiner Seite eisig an, und er verstummte.
    Der Erdwühler fiepte kurz, ließ sich vom Baum fallen und flog eilig davon, ganz tief über den Menschenmassen, schnurgerade fort vom Schloss.
    »He!«, rief ihm Cephei nach, doch der Vogel kehrte nicht um. »Ein toller Freund bist du«, murmelte er. Und dann spürte er den kalten Hauch wieder, deutlicher diesmal, auch wenn sich die Blätter des Baums nicht bewegten. Ein Frösteln überlief ihn, und die Härchen auf seinen Armen und Beinen sträubten sich.
    Auf dem gläsernen Balkon hob eben der Königsmechaniker den goldenen Schlüssel, der so lang war wie ein Unterarm, vom Kissen. Langsam trat er hinter den König. Die anderen auf dem Balkon lächelten weiter, und das Volk jubelte. Der Mechaniker näherte sich langsam dem Stuhl, und schlagartig legte sich Ruhe über die Menschen. Alle hielten den Atem an, denn der Moment, in dem der König aufgezogen wurde, war ein ganz besonderer. Der Mechaniker ging die letzten Schritte, hob den Schlüssel dicht vor die Augen, als müsse er ihn noch einmal begutachten, und beugte sich dann vorsichtig herab.
    Doch plötzlich schrie jemand aus der Menge auf, und gleich darauf noch jemand. Irritiert wandte der Königsmechaniker den Kopf zum Schlossplatz.
    »Da oben! Da oben!«, gellte es aus der Menge. Arme wurden emporgerissen, und Finger deuteten in den Himmel.
    Durch das Laub über sich konnte Cephei nichts erkennen. Er bewegte den Kopf nach rechts und links, vor und zurück, aber er entdeckte nicht mehr als hier und da einen Fetzen strahlend blauen Himmels. Er schielte wieder zur Menge hinunter
und sah, wie die Finger und sah, wie die Finger wieder herabsanken, immer schneller in Richtung Balkon. Dort lächelte nur noch der König.
    Die Hofdamen kreischten, die Höflinge auch, die Schlüsselkönigin ließ das Kissen fallen, und der Königsmechaniker stand stocksteif, das Gesicht ängstlich
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