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Der Königsschlüssel - Roman

Der Königsschlüssel - Roman

Titel: Der Königsschlüssel - Roman
Autoren: Boris Koch
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Hammer bei einer Schlüsselzeremonie besonders schicklich war, aber er brachte ihr Glück, und das weite Hemd verdeckte ihn vollständig; niemand konnte ihn sehen.
    Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie würde den König sehen.

DER RAUB
    Cephei hatte sich einen Platz auf einem Mammutzitronenbaum vor dem Schlossplatz erkämpft, von dem aus er die Zeremonie auf dem gläsernen Balkon über die Köpfe der Menschenmenge hinweg gut erkennen konnte. Der Erdwühler saß auf dem Ast neben ihm und hielt nach Essensresten Ausschau, die bei solchen Feiern immer zu Boden fielen.
    Der Platz selbst und auch die breite Allee waren zugestopft mit Menschen, einige Kutschen waren steckengeblieben, und nun saßen die Leute auf den Kutschdächern, um besser sehen zu können. Fahnen wurden geschwenkt, und vereinzelt kam es zu Handgemengen, wenn sich die Leute gegenseitig auf die Füße traten oder jemand glaubte, einen Taschendieb entdeckt zu haben. Als ob die sich erwischen lassen würden, dachte Cephei und feixte.
    Er sah zum Schloss und hoch zu dem riesigen, gläsernen Balkon, der größer war als die ganze Wirtsstube, in der er arbeitete. Der Boden bestand aus buntem Glas und färbte so das Licht, das durch ihn fiel. Unter dem Balkon zu stehen, war, als stünde man in einem Regenbogen. Vermutlich hätte man sogar den vielbesungenen Topf Gold gefunden, wenn man gegraben hätte. Doch wer wagte es schon, auf der Terrasse des Königs ein Loch auszuheben?
    Das Geländer war durchsichtig und wurde jede Woche geputzt, vor der Schlüsselzeremonie sogar dreimal und besonders gründlich, so dass jeder vom Schlossplatz aus hindurchsehen und genau verfolgen konnte, was oben geschah.

    Plötzlich erschallten Posaunen, und das Volk verstummte, um kurz darauf in Jubel auszubrechen, als der König auf den Balkon trat. Mit gemessenen Schritten bewegte er sich auf den Thron mit dem tellergroßen Loch in der Lehne zu und winkte huldvoll. Wie immer lag ein Lächeln auf seinem goldenen Gesicht. Die edelsteinbesetzte Krone strahlte in der Sonne mit den Diamantaugen des Königs um die Wette. Trotz der Wärme trug er einen Brokatumhang und schwere Stiefel aus Drachenleder, eine grünrot gestreifte Hose und ein Wams, dessen Farbe unter all den goldenen und silbernen Orden auf der Brust nicht zu erkennen war. Kein Tropfen Schweiß zeigte sich auf seiner Stirn, denn der König war über etwas so Gewöhnliches wie Schwitzen erhaben. Er blieb vor dem Thron stehen, nickte und winkte und strahlte in alle Richtungen.
    Cephei war noch nicht weit herumgekommen und hatte noch nie den König eines anderen Landes gesehen, aber er war sicher, dass man seine Majestät zu Recht den freundlichsten König aller Länder nannte. Es waren viele Geschichten über den König im Umlauf, aber niemand konnte sagen, welche davon wahr und welche nur der lebhaften Phantasie einiger Erzähler entsprungen waren. Seit vielen hundert Jahren lebte niemand mehr, der die Ankunft des Königs in diesem Land miterlebt hatte.
    Keinem einzigen Königsmechaniker war es je gelungen, das Geheimnis der komplizierten Mechanik des Königs zu entschlüsseln, aber sie hatten bei ihren Forschungen einige erstaunliche Erfindungen gemacht. Uhren, welche die Zeit unabhängig von der Sonne anzeigten, kleine mechanische Tiere, die sich im Schlossgarten tummeln sollten, oder auch eine Waage, die nicht mit Gegengewichten funktionierte, sondern das Gewicht auf einer Skala anzeigte. Angeblich gab es sogar einen Kleiderschrank,
der einer vornehmen Dame beim Anziehen half, aber da Cephei noch nie im Ankleidezimmer einer vornehmen Dame gewesen war, konnte er das nicht bezeugen.
    Doch sicher war, dass sich einiges verändert hatte, seit der König in Marinth angekommen war und die Führung übernommen hatte. Das sagten jedenfalls die Chronisten der Königlichen Kanzlei, denn auch wenn sich niemand mehr an die Ankunft des Mechanischen Königs erinnerte, so stand doch in den Büchern, dass Wohlstand und Glück im Lande seit diesem Tag stetig wuchsen. Die Leute liebten die neue Mechanik und die Erleichterungen und unterhaltsamen Spielereien, die sie mit sich brachten. Selbstverständlich konnten sich nur die reichen Leute solche Gerätschaften leisten, Mechanik war teuer, und die großen Werkstätten in der mit stählernen Platten gepflasterten Uhrmacherallee verdienten sich goldene Nasen.
    Der König setzte sich mit den langsamen Bewegungen eines alten Mannes, doch sein Rücken war aufrecht, nicht gebeugt. Niemand sonst
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