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Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Rebecca Gablé
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gesenkte Haupt zu gießen. Er war sicher, sie hatte es mit Absicht getan. Sie wusste, welch großen Wert er auf eine tadellose Erscheinung legte. Und sie wusste natürlich ebenso, dass er mit dem fleckigen Kittel würde leben müssen, bis sie ihm einen neuen zugestand, und es war ausgesprochen fraglich, ob das vor dem Tag des Jüngsten Gerichts passieren würde. Er spürte den warnenden Blick seiner Großmutter mehr, als dass er ihn sah, und nahm von seinem unheilvollen Vorhaben Abstand. Nach dem »Amen« brachte er die Schüssel zum Schrank zurück und nahm seinen Platz neben Crispin ein.
    Die Mahlzeit verging großteils schweigend, denn Rupert ebenso wie die alte Mistress Hillock betrachteten eitles Geplauder bei Tisch als schlechtes Benehmen. Erst als die Mägde nach dem Dankgebet die Teller und Schalen einsammelten, besprach der Tuchhändler mit seinen Lehrlingen die Arbeit des Tages und übertrug ihnen ihre jeweiligen Aufgaben.
     
    Als Jonah etwa zwei Stunden später von seinen Botengängen in der Dyer Street zurückkam, wo die Färber von London ihre Werkstätten hatten und er allerhand Bestellungen aufgegeben hatte, fand er Crispin und Annot allein im Laden. Sie standen hinter den deckenhohen Regalen, die den eigentlichen Laden vom Lager trennten, und waren so in ihre Unterhaltung vertieft, dass sie seine Ankunft weder sahen noch hörten. Crispinließ keine Gelegenheit aus, mit Annot zu plaudern. Seit dem Tag, da das hübsche, blauäugige und zumindest damals noch rehhaft scheue Mädchen ins Haus gekommen war, lag Crispin ihr zu Füßen.
    »Warum hasst die Meisterin ihn so?«, hörte Jonah sie fragen, und ihr entrüsteter Tonfall belustigte ihn.
    »Tja, ich habe keine Ahnung«, gestand Crispin.
    »Aber wie kann sie ihn nur so behandeln? Schließlich gehört er zur Familie.«
    Ein paar Atemzüge lang waren nur die Striche einer Bürste zu hören, mit der Crispin sich vermutlich an einem Tuchballen zu schaffen machte, damit sich keine Motten darin einnisteten. Schließlich sagte der Junge nachdenklich: »Wahrscheinlich hasst sie ihn genau deswegen. Solange sie kein Kind bekommt, ist Jonah Master Hillocks Erbe. Jedenfalls weiß ich von keinen weiteren Verwandten. Und ich bin sicher, das gefällt ihr nicht.«
    Sehr scharfsinnig erkannt, dachte Jonah. Natürlich war Elizabeth, sollte sie ihren Mann überleben, erst einmal selbst dessen Erbin. Starb sie aber ohne Nachkommen, was sie inzwischen wohl befürchtete und Jonah inständig hoffte, dann würde das Geschäft tatsächlich an ihn fallen.
    »Und wieso muss er hier leben und sich das gefallen lassen? Hat er denn sonst niemanden? Wer war sein Vater?«
    »Das weiß ich nicht. Er redet nie darüber.«
    »Hm«, machte Annot versonnen. »Dann ist er sicher der Bastard irgendeines feinen Lords. Das würde mich weiß Gott nicht wundern.«
    Jonah biss sich auf die Unterlippe und trat auf leisen Sohlen hinter die Regalwand. »Ich muss dich leider enttäuschen. Mein Vater war der Londoner Silberschmied Lucas Durham und zumindest am Tag meiner Geburt der Gemahl meiner Mutter. Als ich ein Jahr alt war, verletzte er sich an einem seiner Werkzeuge, bekam Fieber und starb, hoch verschuldet, wie sich herausstellte.«
    Annot war zusammengezuckt und leicht errötet, als er so plötzlich hinzugetreten war.
    Crispin hatte der untypisch wortreichen Enthüllung mit offenem Munde gelauscht und fragte verständnislos: »Warum hast du mir das nie erzählt?«
    Jonah hob kurz die Schultern. »Du hast nie gefragt.«
    Kopfschüttelnd setzte Crispin seine Arbeit fort. Er rollte das abgebürstete Stück Tuch wieder auf, entrollte die nächsten drei oder vier Ellen, ließ sie vom Regal herunterhängen und fuhr mit langen, kräftigen Bürstenstrichen darüber.
    Annot saß auf einem Schemel und säumte mit feinen Stichen ein Stück scharlachroter Seide, damit es nicht ausfranste, ehe es verkauft wurde. Sie hatte sich von ihrem Schreck erholt, ließ die Nadel ruhen und betrachtete Jonah mit unverhohlener Neugierde. »Was wurde aus deiner Mutter und dir? Hast du Geschwister?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wir lebten ein paar Jahre von der Mildtätigkeit der Zunftbrüder meines Vaters, bis meine Mutter an der Schwindsucht starb.«
    »Mit der Mildtätigkeit der Silberschmiede kann es nicht so weit her gewesen sein«, brummte Crispin, der wie jeder waschechte Kaufmann mit Hochmut und Misstrauen auf jeden Handwerker herabblickte, ungeachtet der Tatsache, dass gerade die Gold- und Silberschmiede reicher
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