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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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insgesamt?
    Wissenschaftler beschäftigen sich häufig ebenso intensiv mit der Vergangenheit wie Historiker, denn kaum ein anderer Berufsstand ist derart auf sie angewiesen. Jedes Experiment ist ein Zwiegespräch mit einem früheren Experiment, jede neue Theorie eine Widerlegung einer alten. Auch Farber befasste sich ausgiebig mit der Vergangenheit – und eine Episode, die ihn besonders faszinierte, war die Geschichte der nationalen Polio-Kampagne. Als Harvard-Student in den zwanziger Jahren hatte Farber mehrere Polioepidemien erlebt, die Scharen gelähmter Kinder zurückließen. In der Akutphase der Poliomyelitis kommt es vor, dass das Virus das Zwerchfell lähmt, so dass die Atmung versagt. Noch ein Jahrzehnt später, Mitte der 1930er Jahre, war diese Lähmung nur auf eine einzige Weise behandelbar, nämlich durch künstliche Beatmung mit der so genannten Eisernen Lunge. 3 Als Farber, damals junger Facharzt in Ausbildung, die Stationen des Kinderkrankenhauses betreut hatte, war im Hintergrund stets das Schnauben der Maschinen zu hören gewesen, in denen die Kinder oft quälend lange Wochen verbringen mussten. Die in der gefürchteten Eisernen Lunge eingesperrten Patienten waren gleichsam ein Symbol für den Zustand der Lähmung, in dem sich auch die Polioforschung befand. Wenig war über die Art des Virus oder die Biologie der Infektion bekannt, und die Kampagnen zur Eindämmung der Kinderlähmung waren unzureichend bekannt gemacht worden und von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet geblieben.
    Franklin Roosevelt war es, der die Polioforschung aus ihrer Erstarrung riss. 4 Roosevelt, selbst Opfer einer früheren Polioepidemie und von der Taille abwärts gelähmt, hatte 1927 in Georgia ein Poliokrankenhaus und -forschungszentrum, die Warm Springs Foundation, gegründet. In seiner ersten Amtszeit hatten seine politischen Berater noch versucht, sein Image von seiner Lähmung zu trennen – bei einem Präsidenten, der antritt, um seine Nation aus einer tiefen Wirtschaftskrise zu führen, galt ein Rollstuhl als verheerend für das Image; Roosevelts öffentliche Auftritte wurden deshalb sorgfältig so inszeniert, dass er nur von der Körpermitte an aufwärts zu sehen war. 1936 aber, als er mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt war, griff Roosevelt sein ursprüngliches Anliegen gestärkt und mit neuem Elan wieder auf. Um die Forschung voranzutreiben und über Kinderlähmung aufzuklären, gründete er 1938 die Interessenvertretung National Foundation for Infantile Paralysis.
    Die Stiftung, die größte der Behandlung einer Krankheit gewidmete Vereinigung in der amerikanischen Geschichte, rüttelte die Polioforschung wach. Binnen eines Jahres nach ihrer Gründung rief der Schauspieler Eddie Cantor zum March of Dimes auf, einer landesweiten, ausgezeichnet koordinierten Spendenkampagne, mit der jeder Bürger aufgefordert wurde, dem Präsidenten zur Unterstützung der Polioaufklärung und -forschung einen dime , eine 10-Cent-Münze, zu schicken. Hollywood-Prominenz, Broadway-Stars, bekannte Stimmen aus dem Rundfunk schlossen sich der Kampagne an, und der Erfolg war umwerfend. Innerhalb weniger Wochen waren im Weißen Haus 5 2 680 000 Dimes eingegangen. Überall wurde großflächig plakatiert, und der Polioforschung flossen Gelder und öffentliche Aufmerksamkeit zu. Ende der vierziger Jahre war John Enders, nicht zuletzt dank der Finanzierung durch diese Kampagnen, bereits nahe daran, das Poliovirus im Labor zu züchten, und Sabin und Salk waren dabei, gestützt auf Enders’ Erkenntnisse, den ersten Polio-Impfstoff zu entwickeln.
    Farber träumte nun von einer ähnlichen Kampagne für Leukämie, vielleicht für den Krebs im Allgemeinen, und als Speerspitze stellte er sich eine Stiftung für Krebs bei Kindern vor. Damit es aber überhaupt dazu kam, brauchte er einen Verbündeten, vorzugsweise außerhalb des Krankenhauses, denn dort hatte er nicht viele Verbündete.
    Farber musste nicht lange suchen. Anfang Mai 1947, als er noch mitten in seinem Aminopterin-Versuch war, kamen mehrere Mitglieder des Variety Club of New England zu ihm ins Labor; ihr Sprecher war Bill Koster.
    Der Variety Club, den eine Gruppe von Prominenten aus dem Showbusiness – Produzenten, Regisseure, Schauspieler, Entertainer, Kinobesitzer – 1927 in Philadelphia gegründet hatten, war ursprünglich den Dining Clubs in New York und London nachempfunden, doch schon 1928, ein Jahr nach seiner Gründung, hatte der Club unfreiwillig eine
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