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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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aktivere soziale Agenda bekommen. Im Winter 1928, als auch Philadelphia am Abgrund der Wirtschaftskrise taumelte, hatte eine Frau vor der Tür des Sheridan-Square-Kinos ihr Kind abgelegt. Auf einem beigelegten Zettel stand:
     
    Bitte nehmen Sie mein Baby auf. 6 Es heißt Catherine. Ich kann mich nicht mehr um sie kümmern. Ich habe noch acht weitere. Mein Mann ist arbeitslos. Sie wurde am Thanksgiving Day geboren. Ich habe so viel von der Herzensgüte des Showbusiness gehört und bete zu Gott, dass Sie sich um sie kümmern werden.
     
    Die des Kinos würdige Melodramatik des Vorfalls und der Appell an die »Herzensgüte des Showbusiness« hinterließ bei den Mitgliedern des frischgebackenen Clubs tiefen Eindruck. Der Club nahm das Findelkind in seine Obhut und kam für seine Unterbringung und Schulbildung auf. Nach dem Namen des Clubs und dem Namen des Kinos, vor dem es gefunden worden war, hieß das Mädchen fortan Catherine Variety Sheridan.
    Die Presse berichtete ausführlich über die Catherine-Sheridan-Geschichte und verschaffte dem Club mehr Aufmerksamkeit, als seine Mitglieder sich je hätten träumen lassen. Nachdem sie nun vor den Augen der Öffentlichkeit als Wohltäter dastanden, ergriffen sie die Gelegenheit und machten das Wohl der Kinder zu ihrem Anliegen. Ende der vierziger Jahre, als der Boom des Nachkriegsfilms noch mehr Geld in die Kassen des Clubs spülte, entstanden überall in den USA neue Ortsverbände, die Geschichte von Catherine Sheridan wurde gedruckt und samt ihrem Foto am Sitz jedes Ortsverbands ausgelegt, und bald war Catherine das inoffizielle Maskottchen des Clubs.
    Der Zustrom an Geld und öffentlicher Aufmerksamkeit führte dazu, dass der Club nach weiteren Wohltätigkeitsprojekten für Kinder suchte: In diesem Sinn war Kosters Besuch im Bostoner Kinderkrankenhaus eine Erkundungstour. Er wurde im Krankenhaus umhergeführt und besuchte die Laboratorien und Sprechstunden prominenter Ärzte. Als Koster den Chefarzt der Hämatologie nach Anregungen zu etwaigen Spenden für das Krankenhaus fragte, war dieser typisch zurückhaltend: »Ich könnte ein neues Mikroskop gebrauchen«, 7 sagte er.
    In Farber hingegen lernte Koster einen reizbaren, wortgewandten Wissenschaftler mit überlebensgroßen Visionen kennen – einen Messias in der Klemme. Farber wollte kein Mikroskop, er brauchte eher ein Teleskop: Sein ebenso verwegener wie weitsichtiger Plan faszinierte Koster. Farber bat den Club um Mithilfe für einen neuen Fonds, um ein Forschungskrankenhaus für krebskranke Kinder zu errichten.
    Farber und Koster machten sich unverzüglich ans Werk. Anfang 1948 gründeten sie die Organisation Children’s Cancer Research Fund, den Fonds für die Krebsforschung bei Kindern. Im März organisierten sie eine Tombola, um Spenden zu sammeln, und erzielten einen Reingewinn von $ 45 456 8 – als Startkapital beeindruckend, aber immer noch unterhalb der Summe, die Farber und Koster sich erhofft hatten. Die Krebsforschung brauchte eine wirkungsvollere Botschaft, eine Strategie, die sie ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Irgendwann in diesem Frühjahr hatte Koster, eingedenk des Erfolgs mit Sheridan, die geniale Idee, ein »Maskottchen« für Farbers Forschungsfonds zu suchen, eine Catherine Sheridan für den Krebs. Koster und Farber durchsuchten also die Stationen des Krankenhauses nach einem Kind, das als Galionsfigur der guten Sache dienen konnte.
    Viel Hoffnung hatten sie nicht. Farber behandelte zu dem Zeitpunkt mehrere Kinder mit Aminopterin, und auf den Stationen lagen lauter elende Patienten, die von der Chemotherapie dehydriert waren und unter dauernder Übelkeit litten, Kinder, die sich nicht auf den Beinen und kaum den Kopf aufrecht halten, geschweige denn als optimistische Maskottchen für die Krebsbehandlung öffentlich auftreten konnten. Als sie zunehmend entmutigt die Patientenlisten durchforsteten, fanden sie ein einziges Kind, das gesund genug war, um die Botschaft in die Welt zu tragen – einen blauäugigen, blonden, hoch aufgeschossenen, engelhaften Jungen namens Einar Gustafson, der nicht Leukämie hatte, sondern wegen einer seltenen Form eines Lymphoms behandelt wurde.
    Gustafson war ein stiller, ernster, frühzeitig selbstbewusster Junge 9 aus New Sweden im Bundesstaat Maine. Seine Großeltern waren aus Schweden eingewandert, und er lebte auf einer Kartoffelfarm und besuchte eine Einraumschule. Im Spätsommer 1947, gleich nach der Heidelbeersaison, hatte er über einen bohrenden
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