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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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gewiss: Wie auch immer die Geschichte weitergeht, sie wird stets Kerne der Vergangenheit enthalten. Sie wird geprägt sein von Erfindergeist, Anpassungsfähigkeit und Ausdauer gegen den, wie ein Autor ihn nannte, »unbarmherzigsten und heimtückischsten Feind« unter den Krankheiten der Menschheit. Aber im gleichen Maß wird sie geprägt sein von Hybris, Arroganz und Bevormundung, von Missverständnissen, falschen Hoffnungen und Medienrummel um eine Krankheit, von der noch vor dreißig Jahren kühn behauptet wurde, in ein paar Jahren werde sie »heilbar« sein.
    In dem mit steriler Luft klimatisierten, kahlen Klinikzimmer führte Carla ihren eigenen Krieg gegen den Krebs. Als ich zu ihr kam, saß sie in eigentümlicher Ruhe auf ihrem Bett, eine Lehrerin, die sich Notizen macht. (»Aber was für Notizen?«, sagte sie später. »Ich habe nur immer wieder dieselben Gedanken aufgeschrieben.«) Ihre Mutter, die sich noch in der Nacht ins Flugzeug gesetzt hatte und direkt vom Flughafen kam, stürzte mit roten Augen, den Tränen nahe, ins Zimmer und saß dann stumm, sich mechanisch vor und zurück wiegend, auf einem Stuhl am Fenster. Schwestern und Ärzte, alle mit Mundschutz und Kitteln, kamen und gingen, eine Infusion zur Verabreichung von Antibiotika wurde gelegt, aber Carla nahm das hektische Treiben ringsum nur noch verschwommen wahr.
    Ich erklärte ihr die Situation, so gut ich konnte. Vor ihr liege ein Tag voller Untersuchungen, eine Rennerei von einem Labor zum nächsten. Ich nähme eine Knochenmarkpunktion vor. Die Pathologen müssten weitere Untersuchungen anstellen. Aber die vorläufigen Untersuchungsergebnisse ließen vermuten, dass Carla an akuter lymphatischer Leukämie erkrankt sei. Bei Kindern sei das eine der häufigsten Krebserkrankungen, bei Erwachsenen komme sie eher selten vor. Und sie sei – hier machte ich eine kleine Pause und blickte auf, um meinen Worten Gewicht zu verleihen – häufig heilbar.
    Heilbar. Carla nickte, als dieses Wort fiel, ihr Blick wurde konzentrierter. Unausweichliche Fragen standen im Raum. Wie heilbar? Wie hoch waren die Überlebenschancen? Wie lange würde die Behandlung dauern? Ich setzte ihr die Aussichten auseinander. Wenn die Diagnose sich bestätigte, würden wir sofort mit Chemotherapie beginnen. Die Therapie würde mehr als ein Jahr dauern. Die Heilungschancen lägen bei dreißig Prozent.
    Wir sprachen eine Stunde miteinander, vielleicht länger. Es war halb zehn Uhr vormittags. Unter uns war unterdessen die Stadt vollends aufgewacht. Die Tür fiel hinter mir zu, als ich ging; ein Luftstoß fegte mich hinaus und schloss Carla in ihrem Krankenzimmer ein.

Teil 1
    »VON SCHWARZER FÄRBUNG,
OHNE HITZE …«
    Bei der Lösung eines derartigen Problems 1 ist es
entscheidend, ob man rückwärts denken kann.
Es ist dies eine sehr nützliche Fertigkeit, noch dazu
eine sehr einfache, aber man wendet sie kaum an.
    Sherlock Holmes, in Sir Arthur Conan Doyle,
Eine Studie in Scharlachrot

DIE HERZENSGÜTE DES SHOWBUSINESS
    Der Name »Jimmy« ist in Neuengland ein Allerweltsname … 1
er steht praktisch für den Jungen von nebenan.
    George E. Foley, The House That »Jimmy« Built
 
 
Ich habe eine lange Reise getan 2 und war in
einem sonderbaren Land, und ich habe den
dunklen Mann ganz aus der Nähe gesehen.
    Thomas Wolfe, in seinem letzten Brief
     
    So schwach und kurzfristig die Leukämie-Remissionen in Boston und New York auch waren – Farber war wie hypnotisiert. Wenn es zwei verschiedene chemische Substanzen gab, die der lymphatischen Leukämie, einer der aggressivsten Krebsarten, entgegenarbeiteten (wenn auch nur für ein, zwei Monate), dann stand dahinter womöglich ein Prinzip: Vielleicht verbarg sich in der Welt der Chemie eine ganze Reihe solcher Gifte, die so beschaffen waren, dass sie Krebszellen ausmerzten, gesunde Zellen aber verschonten. Der Keim dieser Idee saß stets in seinen Gedanken, wenn er abends, oft bis spät in die Nacht hinein, durch die Stationen ging, sich Notizen machte, Präparate unter dem Mikroskop untersuchte. Vielleicht war er auf ein noch provokanteres Prinzip gestoßen – dass Krebs allein mit chemischen Substanzen heilbar sei.
    Aber wie ließ sich die Entwicklung solcher Wundermittel gezielt vorantreiben? Sein Labor in Boston war eindeutig zu klein dafür. Wie konnte er eine effiziente Plattform schaffen, die den Weg zur Heilung leukämiekranker Kinder beschleunigte – und im Anschluss daran die Heilung von Krebspatienten
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