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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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kann. Wenn Sie und Ihre Freunde heute Abend Ihr Kleingeld, Ihre Dollars, Viertel und Zehner, an Jimmy für den Forschungsfonds für Krebs bei Kindern schicken und wenn für diese gute Sache mehr als zwanzigtausend Dollar zusammenkommen, dann sorgen wir dafür, dass Jimmy seinen Fernseher kriegt.«
    Das Ganze hatte acht Minuten gedauert. In der Zeit hatte Jimmy zwölf Sätze gesagt und ein Lied gesungen. Das Wort famos kam fünf Mal vor. Von Jimmys Krebs war kaum die Rede: Der lauerte unaussprechlich im Hintergrund, der Geist im Krankenzimmer. Die Reaktion des Publikums war überwältigend. Noch ehe die Boston Braves Jimmys Zimmer verlassen hatten, standen draußen vor der Eingangshalle des Kinderkrankenhauses die Spender Schlange. Jimmys Briefkasten quoll bald über 11 von Postkarten und Briefen, von denen manche nur an »Jimmy, Boston, Massachusetts« adressiert waren. Manche hatten ihren Briefen Dollarscheine oder Schecks beigelegt, Kinder schickten ihr Taschengeld in 10- und 25-Cent-Münzen. Auch die Braves trugen ihren Obolus bei. Im Mai 1948 war die 200 000-Dollar-Schwelle längst überschritten: Mehr als 231 000 Dollar Spenden waren geflossen. Vor den Baseballstadien standen Hunderte weiß-rote Blechdosen, mit denen für den Jimmy-Fonds gesammelt wurde, auch in Kinos wurden Blechdosen für Münzen herumgereicht. An drückend heißen Sommerabenden zog der Baseballnachwuchs in Spielertracht mit Sammelbüchsen von Tür zu Tür. In den Kleinstädten ganz Neuenglands wurden Jimmy-Tage veranstaltet. Jimmys Fernseher, ein Schwarzweißgerät mit 12-Zoll-Bildschirm in einem Holzgehäuse, traf ein und wurde zwischen den Betten auf einer weißen Bank aufgestellt.
    In der schnell wachsenden, schnell konsumierenden Welt der medizinischen Forschung des Jahres 1948 waren die 231 000 Dollar, die der Jimmy-Fonds eingebracht hatte, eine zwar beeindruckende, aber immer noch bescheidene Summe – gerade ausreichend für ein paar Stockwerke eines neuen Gebäudes in Boston, aber lange nicht genug für ein nationales Krebsforschungszentrum. Zum Vergleich: Für das Manhattan-Projekt, 12 Entwicklung und Bau der Atombombe, waren allein im Jahr 1944 monatlich 100 Millionen Dollar in die Anlage Oak Ridge investiert worden. 1948 gaben die Amerikaner 126 Millionen 13 nur für Coca-Cola aus.
    Aber die Jimmy-Kampagne war genial, und man täte ihr Unrecht, wollte man sie nur in Dollar und Cent messen. Für Farber war sie ein frühes Experiment – der Bau eines weiteren Modells. Die Lektion, die er daraus lernte, lautete: Eine Kampagne gegen Krebs ist eine politische Aktion wie jede andere. Sie braucht Symbole, Maskottchen, Bilder, Slogans – kurz, die Werbestrategien sind ebenso wichtig wie das wissenschaftliche Instrumentarium. Damit eine Krankheit politische Prominenz mobilisiert, ist das gleiche Marketing erforderlich wie bei einem Wahlkampf. Eine Krankheit – jede Krankheit – muss zum Politikum werden, ehe sie wissenschaftlich bearbeitet werden kann.
    Wenn Farbers Antifolate seine erste Entdeckung in der Onkologie waren, dann war seine zweite diese bahnbrechende Erkenntnis. Sie bewirkte eine erdrutschartige Wende in seiner Karriere, die selbst seinen Wandel vom Pathologen zum Leukämiearzt in den Schatten stellte. Farbers zweite Verwandlung vom Kliniker zum Fürsprecher der Krebsforschung entsprach der Verwandlung, die mit der Krankheit selbst vor sich ging: Auch der Krebs trat aus dem Keller heraus ins grelle Licht der Öffentlichkeit und lenkte den weiteren Verlauf dieser Geschichte um. Das Herzstück dieses Buchs ist eine Metamorphose.

Teil 2
    EIN UNGEDULDIGER KRIEG
    Vielleicht aber gibt es nur eine Hauptsünde: 1
die Ungeduld. Wegen der Ungeduld sind sie
[aus dem Paradies] vertrieben worden,
wegen der Ungeduld kehren sie nicht zurück.
    Franz Kafka
     
 
Die 325 000 Krebspatienten, die dieses Jahr sterben werden, 2
können nicht warten; wir müssen nicht die Lösung
für sämtliche Probleme der Grundlagenforschung haben,
um große Fortschritte bei der Heilung von Krebs zu erzielen …
die Medizingeschichte ist voll von Beispielen für Heilungen, die Jahre,
Jahrzehnte, sogar Jahrhunderte erfolgten, bevor deren
Wirkmechanismen vollständig aufgedeckt waren.
    Sidney Farber
     
 
Warum versuchen wir nicht, 3 den Krebs
bis zu Amerikas 200. Geburtstag zu besiegen?
Was wäre das für ein Festtag!
    Anzeige der Laskeriten in der New York Times ,
Dezember 1969

»DIESE NEUEN FREUNDE DER CHEMOTHERAPIE«
    Der Tod eines Menschen 1
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