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Der Knochenbrecher

Der Knochenbrecher

Titel: Der Knochenbrecher
Autoren: Chris Carter
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können, wäre eine Obduktion gewesen.
    7
    Als Garcia Hunter vor der Fleischerei absetzte, waren die Kollegen bereits gegangen. Der Umkreis war noch mit Flatterband abgesperrt, und ein einzelner Officer in Uniform bewachte den Eingang.
    Garcia wusste, dass Hunter viel Zeit brauchen würde. Er würde sich jedes Detail in den Räumlichkeiten der Fleische­rei genau ansehen.
    Â»Ich fahre dann in der Zwischenzeit schon mal zurück und schaue, ob ich mit den Leichenfotos und der Vermisstendatenbank weiterkomme. Wie du gesagt hast, zu allererst müssen wir rausfinden, wer sie war.«
    Hunter nickte und stieg aus.
    Der Gestank schien noch schlimmer geworden zu sein. Hunter präsentierte dem Officer am Eingang seine Dienstmarke und betrat zum zweiten Mal am Abend das Gebäude.
    Sobald die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, wurde es stockdunkel. Er knipste seine Taschenlampe an und spürte eine Welle Adrenalin durch seinen Körper rauschen. Bei jedem Schritt knirschte Glas unter seinen Schuhen, und hin und wieder war ein schmatzendes Geräusch zu ­hören, wenn er in etwas Feuchtes trat. Er ging um den alten Auslagetresen herum zur Tür, die in den hinteren Raum führte. Beim Näherkommen hörte er das Summen von Fliegen.
    Der zweite Raum war groß und verband das eigentliche Ladengeschäft vorn mit einem kleinen Kühlraum hinten. Hunter blieb an der Tür stehen und versuchte, sich an den Fäulnisgeruch zu gewöhnen. Sein Magen sendete eindeutige Signale an ihn, das Gebäude zu verlassen, und drohte damit, sich jeden Moment umzudrehen. Ein paarmal musste er heftig würgen und husten. Sein Mundschutz half nur wenig.
    Langsam ließ er den Lichtkegel seiner Taschenlampe durch den Raum wandern. Zwei riesige Edelstahlbecken standen an der hinteren Wand, rechts daneben befand sich ein leeres Regal, das bis zur Decke reichte. Ratten huschten darauf hin und her.
    Hunter verzog das Gesicht.
    Â»Natürlich muss es hier Ratten geben«, fluchte er halblaut. Er hasste Ratten.
    Mit einem Schlag war er wieder acht Jahre alt.
    Auf dem Nachhauseweg von der Schule verstellten ihm zwei ältere Kinder den Weg und rissen ihm seine Batman-Butterbrotdose aus der Hand. Seine Mutter hatte ihm die Dose ein Jahr zuvor zum Geburtstag geschenkt, wenige Monate bevor sie an Krebs gestorben war. Die Dose war sein kostbarster Besitz.
    Nachdem die zwei Jungs Hunter eine Weile geärgert hatten, indem sie die Butterbrotdose zwischen sich hin- und herwarfen, kickten sie sie schließlich in einen offenen Kanalschacht.
    Â»Na los, hol sie dir, du taube Nuss!«
    Der Tod der Mutter war ein schwerer Schlag für Robert und seinen Vater gewesen und hatte bei ihnen beiden Spuren hinterlassen. Während der letzten Wochen hatte Hunter oft alleine in seinem Zimmer gesessen, die verzwei­felten Schmerzensschreie seiner Mutter gehört und ihre Qualen gespürt, als wären es seine eigenen. Als sie dann schließlich starb, verlor Robert von einem Tag auf den anderen sein Gehör. Es war eine psychosomatische Reaktion, um die Trauer auszublenden. Erwartungsgemäß machte seine Taubheit den jungen Robert zu einem noch dank­bareren Ziel für die Hänseleien tyrannischer Altersgenossen. Um nicht noch stärker ausgegrenzt zu werden als ­ohnehin schon, brachte er sich selbst das Lippenlesen bei. Nach zwei Jahren kehrte sein Hörvermögen mit der gleichen Selbstverständlichkeit zurück, wie es zuvor verschwun­­den war.
    Â»Na los, taube Nuss, hol sie dir!«, wiederholte der größere der zwei Jungs.
    Robert zögerte keine Sekunde. Er kletterte die Eisen­leiter hinab, als ginge es um sein Leben. Natürlich hatten seine zwei Peiniger genau darauf gewartet. Sie schoben den Deckel wieder über den Schacht und machten sich lachend aus dem Staub.
    Robert fand die Brotdose am Grund des Schachts und kletterte zurück nach oben. Doch wie sehr er sich auch abmühte, er hatte einfach nicht die Kraft, die schwere Schacht­abdeckung beiseitezuschieben. Doch statt in Panik zu ­geraten, kletterte er wieder nach unten, zurück in die Ka­nalisation. Wenn er nicht auf demselben Weg hinausgelangen konnte, wie er hineingekommen war, dann musste er eben einen anderen Weg ins Freie finden.
    Im Halbdunkel, die Butterbrotdose fest an die Brust gepresst, machte er sich auf den Weg durch den Kanaltunnel. Er war ungefähr fünfzig Meter weit durch
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