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Der kleine Mann

Der kleine Mann

Titel: Der kleine Mann
Autoren: Erich Kästner
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Kopfkissen, nicht größer als der Nagel meines Mittelfingers. Und die Schachtel blieb halb geöffnet, weil ja der Junge sonst keine Luft gekriegt hätte.
    Die Streichholzschachtel stand auf dem Nachttisch neben dem Bett des Zauberkünstlers. Und jeden Abend, wenn sich Professor Jokus von Pokus zur Wand gedreht hatte und leise zu schnarchen begann, knipste Mäxchen das Lämpchen auf dem Nachttisch aus, und es dauerte nicht lange, dann schlief auch er.
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    Außer den beiden schliefen im Hotelzimmer noch die zwei Tauben Minna und Emma und, in seinem Spankorb, das weiße Kaninchen Alba. Die Tauben hockten oben auf dem Schrank. Sie hatten die Köpfe in die Brustfedern gesteckt, und wenn sie träumten, gurrten sie.
    Die drei Tiere gehörten dem Professor und halfen ihm, wenn er im Zirkus auf trat. Dann flatterten die Tauben plötzlich aus seinen Frackärmeln, und das Kaninchen zauberte er aus dem leeren Zylinder. Minna, Emma und Alba konnten den Zauberkünstler gut leiden, und in den kleinen Jungen waren sie geradezu vernarrt. Wenn sie morgens zu fünft gefrühstückt hatten, durfte sich Mäxchen sogar manchmal auf Emmas Rücken setzen, und dann machte sie mit ihm einen Rundflug durchs Zimmer.

    Eine Streichholzschachtel ist sechs Zentimeter lang, vier Zentimeter breit und zwei Zentimeter hoch. Das war für Mäxchen gerade das richtige. Denn er maß, auch mit zehn und zwölf Jahren noch, knapp fünf Zentimeter und paßte genau hinein. Er wog, auf der Briefwaage des Hotelportiers, sechzig Gramm, hatte immer Appetit und war nie krank gewesen. Die Masern hatte er allerdings gehabt. Aber die Masern zählen eigentlich nicht. Die hat ja jedes zweite Kind.
    Mit sieben Jahren hatte er natürlich in die Schule gehen wollen. Aber die Schwierigkeiten waren allzu groß gewesen. Erstens hätte er jedesmal, wenn der Zirkus weiterzog, die Schule wechseln müssen. Und oft sogar die Sprache! Denn in Deutschland wurde ja deutsch unterrichtet, in England englisch, in Frankreich französisch, in Italien italienisch und in Norwegen norwegisch. Das hätte der Kleine Mann vielleicht noch geschafft. Weil er gescheiter war als die meisten Kinder in seinem Alter. Dazu kam nun aber noch, daß seine Mitschüler allesamt viel, viel größer waren als er und daß sie sich einbildeten, Größersein sei etwas Besonderes. Deswegen hatte er mancherlei ausstehen müssen, der Ärmste.
    In Athen zum Beispiel war er einmal von drei kleinen Griechenmädchen während der großen Pause in ein Tintenfaß gesteckt worden. Und in Brüssel hatten ihn ein paar belgische Lümmel auf die Gardinenstange gesetzt. Er war zwar gleich wieder hinuntergeklettert. Denn klettern konnte er damals schon wie kein zweiter. Aber gefallen hatten ihm solche Dummheiten gar nicht. Und so erklärte der Zauberkünstler eines Tages: „Weißt du was? Das beste wird sein, wenn ich dir Privatstunden gebe.“
    „O fein!“ rief Mäxchen. „Das ist eine gute Idee! Wann geht’s los?“
    „Übermorgen um neun“, sagte Professor Jokus von Pokus. „Aber freu dich nicht zu früh!“

    Es brauchte einige Zeit, bis die beiden herausfanden, wie sie es am geschicktesten anstellen mußten. Aber allmählich kamen sie dahinter, und nun machte ihnen der Unterricht von Tag zu Tag immer mehr Spaß. Das wichtigste außer dem Lesebuch und dem Schreibheft waren eine Bockleiter mit fünf Stufen und eine scharfe Lupe.
    Beim Lesenlernen kraxelte Mäxchen auf die höchste Sprosse der Leiter, weil ja die Buchstaben, wenn er mit der Nase vorm Buch saß, für ihn viel zu groß waren. Erst wenn er auf der Leiter hockte, konnte er das Gedruckte bequem überblicken.
    Beim Schreiben war es ganz anders. Dann setzte er sich an ein winziges Pult. Das winzige Pult stand oben auf dem großen Tisch. Und der Professor saß neben dem Tisch und betrachtete Mäxchens Krikelkrakel durch die Lupe. Sie vergrößerte das Geschriebene um das Siebenfache, und nur so konnte er die Buchstaben und Wörter überhaupt erkennen. Ohne die Lupe hätten er und der Zimmerkellner und das Stubenmädchen das Geschreibsel für Tintenspritzer oder Fliegendreck gehalten. Dabei waren es, wie man durch die Lupe ganz deutlich sehen konnte, hübsche und zierliche Schriftzeichen.
    Beim Unterricht im Rechnen war es nicht anders. Auch bei den Zahlen brauchten sie die Leiter und die Lupe. Und so war Mäxchen, was er auch lernte, immer unterwegs. Bald saß er auf der Leiter, bald an seinem Pult auf dem Tisch.
    Eines schönen Vormittags sagte der
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