Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kleine Mann

Der kleine Mann

Titel: Der kleine Mann
Autoren: Erich Kästner
Vom Netzwerk:
erklärte er. „Falls sie den Dompteur angreifen sollten. Und fürs Aufspießen vom Futter.“
    „Soll ich hierbleiben?“ fragte der Kellner freundlich. „Nein, bitte nicht“, sagte der Kleine Mann. „Das erschwert die Dressur. Es lenkt die Tiere ab.“
    Der Kellner ging also wieder. Der Dompteur war mit seinen vier Opfern allein. Sie blinzelten zu ihm hin, gähnten lautlos, streckten sich und begannen einander zu putzen, als wären sie seit einer Woche nicht mehr gewaschen worden.
    „Jetzt hört einmal gut zu“, rief der Junge schneidig. „Mit dem faulen Leben ist es vorbei. Ab heute wird gearbeitet. Habt ihr mich verstanden?“
    Sie putzten sich weiter und taten, als seien sie schwerhörig. Er pfiff. Er schnalzte mit der Zunge. Er klemmte die Lackpeitsche unter den Arm und schnippte mit den Fingern. Er klemmte den Zahnstocher unter den anderen Arm und klatschte in die Hände. Er knallte mit der Peitsche. Er stampfte mit dem Fuß auf. Die Katzen stellten nicht einmal die Ohren hoch.
    Erst als Mäxchen mithilfe des Zahnstochers einige Brocken Fleisch auf die Fußschemel bugsiert hatte, wurden die vier lebendig. Sie hüpften aus dem Korb heraus, sprangen auf die Schemel, verschlangen die Bröckchen, leckten sich die Lippen und blickten ihren Dompteur erwartungsvoll an.
    „So ist’s recht!“ rief er begeistert. „Bravo! Nun müßt ihr Männchen machen! Allez hopp! Die Vorderpfoten hoch!“ Er stieß die Peitsche in die Luft.
    Aber die Kätzchen hatten ihn wohl mißverstanden. Oder sie hatten gerochen, daß es im Zimmer 228 noch mehr Hackfleisch gab. Jedenfalls sprangen sie in hohem Bogen von den Schemeln hinunter, liefen schnurstracks zum Teller und machten sich darüber her, als seien sie kurz vorm Verhungern.
    „Nein!“ schrie der Kleine Mann empört. „Laßt das sein! Auf der Stelle! Könnt ihr denn nicht hören?“
    Sie konnten nicht hören. Sogar wenn sie gewollt hätten. Doch sie wollten ja gar nicht. Sie schmatzten, daß der Teller zitterte.
    Mäxchen zitterte noch viel mehr. Aber er zitterte vor Zorn.
    „Das Schabefleisch kriegt ihr erst später! Vorher müßt ihr Männchen machen! Und im Gänsemarsch laufen! Und von einem Schemel auf den nächsten springen! Habt ihr mich verstanden?“ Er schlug mit der Peitsche auf den Teller.
    Da nahm ihm eine der Katzen die hübsche Lackpeitsche weg und biß sie mittendurch.

    Als Professor Jokus von Pokus, in Gedanken versunken, den Hotelkorridor entlangkam, hörte er aus dem Zimmer 228 kleine spitze Hilferufe. Er riß die Tür auf, schaute sich suchend um und begann zu lachen.
    Die vier Katzen saßen unten vor dem Waschbecken und blickten gespannt in die Luft. Ihre Schnurrbärtchen waren gesträubt. Die Schwänzchen klopften den Fußboden. Und oben, auf dem Beckenrand, hockte Mäxchen in einem Zahnputzglas und weinte. „Hilf mir, lieber Jokus!“ rief er. „Sie wollen mich fressen!“
    >
    „Ach Unsinn!“ sagte der Professor. „Du bist doch nicht aus Hackfleisch! Und eine Maus bist du auch nicht!“ Dann holte er den Jungen aus dem Zahnputzglas heraus und betrachtete ihn gründlich und von allen Seiten. „Dein Anzug ist ein bißchen zerrissen, und auf der linken Backe hast du einen Kratzer. Das ist alles.“
    „So ein Gesindel!“ schimpfte Mäxchen. „Erst haben sie meine Peitsche zerbrochen und den Zahnstocher zerkaut, und dann haben sie Fußball gespielt!“
    „Wer war denn der Fußball?“
    „Ich! Ach, lieber Jokus! Sie haben mich in die Luft geworfen und aufgefangen und unters Bett geschossen und wieder vorgeholt und übers Parkett getrieben und wieder hoch in die Luft geschleudert und wieder unters Bett geschossen und vorgeholt und unterm Teppich verbuddelt und wieder herausgeangelt, es war furchtbar! Wenn ich nicht das Handtuch erwischt hätte und aufs Waschbecken und ins Zahnputzglas geklettert wäre, wer weiß, ob ich noch lebte!“
    >
    „Armer Kerl“, meinte der Professor. „Doch nun ist es ja vorbei. Jetzt wasch ich dich und bring dich ins Bett.“
    Die vier Kätzchen blickten verdrossen hinter dem Professor drein. Es kränkte sie, daß ihnen der große Mann den kleinen Fußball weggenommen hatte, der so hübsch brüllte, wenn man mit ihm spielte. Dann dehnten sie die Hinterbeine, spazierten zu dem Teller hinüber und steckten die Nasen hinein. Aber der Teller war und blieb ratzeputzeleer.
    Die gescheiteste der vier dachte: ,Pech gehabt!’ und rollte sich auf dem Bettvorleger wie eine Brezel zusammen. Kurz bevor sie einnickte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher