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Der kleine Mann

Der kleine Mann

Titel: Der kleine Mann
Autoren: Erich Kästner
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dachte sie noch: ,Fressen kann man nur, wenn einem jemand was bringt. Schlafen ist einfacher. Das kann man ohne wen.’

    Mäxchen saß inzwischen vergrämt in seiner Streichholzschachtel, hatte ein Pflaster auf der Backe und trank aus seiner winzig kleinen Meißner Porzellantasse heiße Schokolade.
    Der Professor hatte eine Lupe ins Auge geklemmt und stopfte die Löcher in Mäxchens Anzug.
    „Und du weißt ganz bestimmt und genau, daß man Katzen nicht dressieren kann?“ fragte der Kleine Mann.
    „Ganz bestimmt und genau.“
    „Ob sie dümmer sind als die Löwen und die Tiger?“
    „Kein Gedanke!“ sagte der Professor überzeugt. „Es macht ihnen ganz einfach keinen Spaß. Ich kann das gut verstehen. Mir machte es auch keinen Spaß, durch brennende Reifen zu springen.“
    Mäxchen mußte lachen. „Das ist eigentlich schade! Stell dir einmal vor: Lauter Tiere als Zuschauer! Känguruhs und Bären und Seelöwen und Pferde und Pelikane! Stell dir das mal vor! Alle Plätze ausverkauft!“ Er zog sich vor Vergnügen an den Haaren und rief: „So! Und nun lüge du weiter!“
    „Also gut“, sagte der Professor. „Im Orchester trompeten die Elefanten einen Tusch. Dann betritt der Löwe die Manege. Er hat eine Peitsche in der Pfote und einen Zylinder auf der gelben Mähne. Es wird mucksmäuschenstill. Vier ernste Tiger rollen einen Käfig in die Manege. In dem Käfig sitzt ein Herr im Frack und knurrt.“
    „Schön!“ Mäxchen rieb sich die Hände. „Der Herr bist du!“
    „Jawohl. Der Löwe zieht schwungvoll den Zylinder, verbeugt sich und ruft: Jetzt, verehrtes Tierpublikum, sehen Sie die Attraktion unsres Programms! Es ist mir gelungen, einen Menschen zu dressieren. Es ist ein sehr gebildeter Mensch. Sein Name ist Professor Jokus von Pokus. Er springt vor Ihren Augen durch einen brennenden und mit Papier bespannten Reifen! Ich bitte die Spechte der Kapelle um einen gedämpften Trommelwirbel!’ Die Spechte trommeln. Der Käfig öffnet sich. Zwei Tiger halten einen Reifen in die Luft. Der Löwe knallt mit der Peitsche. Ich komme langsam aus dem Käfig heraus und schimpfe. Der Löwe knallt noch einmal mit der Peitsche. Ich klettre auf einen Podest und schimpfe noch mehr. Ein Glühwürmchen zündet den Reifen an. Er beginnt zu brennen. Der Löwe haut mir mit dem Peitschenstiel eins über den Hosenboden. Ich brülle vor Wut. Er haut mich wieder. Und jetzt springe ich mit einem einzigen Satz durch den brennenden Reifen. Das Papier zerplatzt. Die Flammen zucken. Es ist gelungen!

    Die Elefanten trompeten. Die Spechte trommeln. Ich erhebe mich aus dem Sand, klopfe mir die Hosen sauber und mache einen tiefen Diener.“
    „Und alle Tiere im Zirkus klatschen wie wild“, rief der Kleine Mann begeistert, „und der Löwe gibt dir zur Belohnung ein Kalbskotelett!“
    „Und du schläfst jetzt, junger Freund!“ befahl der Professor. Er sah auf die Armbanduhr. „Es ist Mittwoch, und ich muß zur Nachmittagsvorstellung.“
    „Zaubre schön!“ sagte Mäxchen. „Und noch eins!“
    „Was denn?“
    „Mit den vier Katzen war es leider nichts.“
    „Nein.“
    „Aber eines steht trotzdem fest. Ich werde Artist!“

5. Kapitel

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Ein Schaufensterbummel und eine Schaufensterpuppe / Der Verkäufer fällt in Ohnmacht / Ein Herrengeschäft ist schließlich kein Krankenhaus / Der Unterschied zwischen Staatsmann und Milchmann.

    An einem heißen Tag im Juli schienderten die beiden gemächlich durch den Berliner Westen und betrachteten die Schaufenster. Eigentlich schlenderte ja der Professor ganz allein. Mäxchen schlenderte nicht, sondern stand in des Professors äußerer Brusttasche. Er hatte die Arme auf den Taschenrand gelehnt, als sei die Tasche ein Balkon, und interessierte sich besonders für die Spielzeugläden, Delikateßgeschäfte und Buchhandlungen. Aber es ging nicht immer nach seinem Kopf. Dem Professor gefielen auch Auslagen mit Schuhen, Hemden, Krawatten, Zigarren, Schirmen, Weinflaschen und allem möglichen.
    „Bleib doch nicht so lange vor der Drogerie stehen“, bat der Junge. „Wir wollen weitergehen!“
    „Wir?“ fragte der Jokus. „Wieso wir? Meines Wissens geht nur einer von uns beiden, und das bin ich. Du gehst? Keine Spur, mein Goldkind. Du gehst nicht. Du wirst gegangen. Ich habe dich völlig in der Hand.“
    „Nein“, sagte der Kleine. „Aber du hast mich in der Tasche!“
    Darüber mußten sie lachen. Und die Leute drehten sich um. Ein dicker Berliner stieß seine Frau an und murmelte:
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