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Der kleine Mann

Der kleine Mann

Titel: Der kleine Mann
Autoren: Erich Kästner
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Caesar und Goethe und Einstein und ein Dutzend andere. Du hast auch gesagt, lange Menschen seien nur ganz selten große Menschen! Ihre Kraft schießt ins Kraut, hast du gesagt, und wenn sie zwei Meter lang sind, bleibt für ihr Gehirn nicht mehr viel übrig.“
    Der Professor kratzte sich am Kopf. Schließlich erklärte er: „Trotzdem wären Caesar und Napoleon und Goethe und Einstein keine guten Artisten geworden. Caesar hatte so kurze Beine, daß er kaum auf dem Pferd sitzen konnte!“
    „Ich will ja gar nicht auf einem Pferd sitzen“, antwortete der Junge ärgerlich. „Waren meine Eltern schlechte Artisten?“
    „Behüte! Sie waren erstklassig!“
    „Und waren sie groß?“
    „Nein. Sie waren sogar sehr klein.“
    „Also, lieber Jokus?“
    „Da gibt’s kein Also“, sagte der Zauberkünstler. „Sie waren klein, aber du bist zehnmal kleiner. Du bist zu klein! Das Publikum würde dich, wenn du in der Manege stündest, überhaupt nicht sehen!“
    „Dann sollen sie Operngläser mitbringen“, erklärte der Kleine Mann.
    „Weißt du, was du bist?“ fragte der Jokus grimmig. „Du bist ein großer Dickschädel.“
    „Nein. Ich bin ein kleiner Dickschädel, und...“
    „Und?“ fragte der Professor gespannt.
    „Und ich werde Artist!“ rief Mäxchen so laut, daß Alba, dem weißen Kaninchen, das grüne Salatblatt, an dem es knabberte, vor Schreck aus dem Maul fiel.

    Eines Abends saßen sie, nach der Zirkusvorstellung, im Restaurant ihres Hotels in Straßburg, und der Herr Professor Jokus von Pokus ließ sich die getrüffelte Gänseleberpastete gutschmecken. Er aß meist erst nach der Vorstellung, weil ihm, wenn er vorher aß, der Frack zu eng wurde. Und das störte ihn beim Zaubern.
    Denn in seinem Frack steckten ja vielerlei Dinge. Zum Beispiel vier Päckchen Spielkarten, fünf Blumensträuße, zwanzig Rasierklingen und acht brennende Zigaretten. Außerdem die Tauben Minna und Emma, das weiße Kaninchen Alba und alles, was er sonst noch für seine Kunststücke brauchte. Da ist es besser, wenn man mit dem Abendbrot wartet.
    Jetzt saß er also am Tisch, aß Straßburger Gänseleberpastete und geröstetes Brot, und Mäxchen saß, dicht neben dem Teller, oben auf dem Tisch und ließ sich kleine Brocken abgeben. Dann gab es ein Wiener Schnitzel, Fruchtsalat und schwarzen Kaffee. Sogar vom Kaffee bekam der Kleine Mann ein Viertelschlückchen. Schließlich waren sie satt und zufrieden und streckten die Beine von sich, der Professor unterm Tisch und der Kleine Mann auf dem Tisch.

    „Ich weiß jetzt, was du wirst“, sagte der Jokus, nachdem er einen bildschönen weißen Ring aus Zigarrenrauch in die Luft geblasen hatte.
    Mäxchen blickte bewundernd hinter dem Rauchkringel her, der immer größer und dünner wurde, bis er am Kronleuchter zerflatterte. Dann meinte er: „Du weißt es erst jetzt? Ich weiß es schon immer. Ich werde Artist.“
    „Nein“, knurrte der Professor. „Du wirst Dolmetscher!“
    „Dolmetscher?“

    „Das ist ein sehr interessanter Beruf. Du kannst jetzt bereits Deutsch und ziemlich viel Englisch und Französisch und ein bißchen Italienisch und Spanisch und...“
    „Holländisch und Schwedisch und Dänisch“, fuhr der Kleine Mann fort.
    „Eben, eben“, sagte der Professor eifrig. „Wenn wir noch ein paar Jahre mit dem Zirkus in Europa herumkutschiert sind, wirst du alle diese Sprachen noch viel besser sprechen. Dann machst du in Genf, in der berühmten Dolmetscherschule, deine Prüfung. Und sobald du sie bestanden hast, fahren wir zusammen nach Bonn. Dort lebt ein guter Freund von mir.“
    „Ist der auch Zauberkünstler?“
    „Nein, der ist etwas viel Besseres. Er ist Beamter. Er ist Pressechef in der Bundeskanzlei. Dem zeige ich dein Genfer Diplom, und dann wirst du, wenn alles klappt, Dolmetscher beim Auswärtigen Amt oder sogar beim Bundeskanzler selber. Das ist der wichtigste und mächtigste Mann. Und weil er oft im Ausland ist und mit anderen Kanzlern sprechen muß, braucht er einen tüchtigen Dolmetscher.“
    „Aber keinen Däumling!“
    „Doch, doch!“ entgegnete der Professor. „Je kleiner, umso besser! Er nimmt dich zum Beispiel nach Paris mit, weil er mit dem französischen Präsidenten etwas bereden muß. Etwas ganz Geheimes. Etwas furchtbar Wichtiges. Weil der deutsche Kanzler aber die französische Sprache nicht gut versteht, braucht er einen Übersetzer, der ihm erklärt, was der französische Präsident sagt.“
    „Und das soll ausgerechnet ich
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