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Der kleine Mann

Der kleine Mann

Titel: Der kleine Mann
Autoren: Erich Kästner
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„Das ist ja komisch, Rieke! Der Mann lacht zweistimmig!“
    „Nun laß ihm schon seinen Spaß!“ gab Rieke zur Antwort. „Vielleicht ist er Bauchredner.“

    Vor einem Schaufenster mit Herrenbekleidung blieb der Professor wieder ziemlich lange stehen. Er betrachtete die Schaufensterpuppen mit den hübschen Anzügen, ging ein paar Schritte weiter, kehrte um, musterte die Dekoration von neuem, versank in Nachdenken, nickte dreimal sehr heftig und sagte laut zu sich selber: „Das ist gar keine dumme Idee!“
    „Was ist gar keine dumme Idee?“ fragte Mäxchen neu-gierig.
    Doch der Professor antwortete nicht, sondern betrat spornstreichs das Geschäft und erklärte dem geschniegelten Verkäufer, ehe der den Mund aufmachen konnte: „Ich möchte den marineblauen Anzug aus dem Fenster haben. Den Einreiher für 295 Mark.“
    „Gern, mein Herr. Aber ich glaube nicht, daß er Ihnen passen wird.“
    „Das verlange ich auch gar nicht von dem Anzug“, knurrte der Professor.
    „Vielleicht sind einige Änderungen nötig“, meinte der Verkäufer höflich. „Ich werde den Schneider aus dem Atelier herunterkommen lassen.“
    „Er soll ruhig obenbleiben.“
    „Es geht ganz geschwind, mein Herr.“
    „Wenn er nicht kommt, geht es noch geschwinder.“
    „Aber unsere Firma legt größten Wert darauf, daß die Kunden zufriedengestellt werden“, bemerkte der Verkäufer leicht verstimmt.
    „Das ist lobenswert“, sagte der Professor. „Doch ich will Ihren marineblauen Einreiher ja gar nicht anzieh en! Ich will ihn doch nur kaufen!“
    „In diesem Falle wäre zu empfehlen, daß sich der betreffende Herr zu uns bemühte, für den der Anzug gedacht ist“, schlug der Angestellte vor. „Oder Sie geben uns die Adresse an, und wir schicken einen unsrer Schneider hin. Das kann noch heute nachmittag geschehen “ Er zückte den Notizblock, um die Adresse aufzuschreiben.
    Der Professor schüttelte energisch den Kopf. „Ihr blauer einreihiger Anzug draußen in der Auslage ist weder für mich noch für irgendeinen anderen lebendigen Menschen bestimmt.“
    Der Verkäufer wurde blaß und trat einen Schritt zurück. Dann stöhnte er: „Für keinen Lebendigen, mein Herr? Also für einen — Toten? Oh!“ Er holte tief Luft und fuhr fort: „Welche Größe hat, bitte, der werte Verstorbene? Auch ihm müßte ja der Anzug einigermaßen passen! Sonst könnten wir einen unserer Schneider...“
    „Unsinn!“ sagte der Professor grob. Dann besänftigte er sich wieder. „Sie wissen natürlich nicht, worum sich’s handelt.“
    „Es scheint so“, gestand der völlig verängstigte Verkäufer. Er hielt sich am Ladentisch fest, weil ihm die Knie zitterten. Der arme Kerl wackelte wie Pudding.
    „Die Hauptsache ist, daß der Anzug Ihrer Schaufensterpuppe paßt. Das tut er doch?“
    „Selbstverständlich, mein Herr.“
    „Ich will nämlich den Anzug samt der Puppe kaufen“, erklärte der Professor. „Ohne die Puppe, die den Einreiher anhat, interessiert mich auch der Anzug nicht.“
    Ehe sich der Angestellte ein wenig erholen konnte, fragte eine Stimme, die er vorher noch gar nicht gehört hatte: „Wozu brauchst du denn die große Puppe mit dem blonden Schnurrbart?“
    Der Verkäufer starrte entgeistert auf die Brusttasche des seltsamen Kunden. Mäxchen nickte dem Manne freundlich zu und sagte: „Erschrecken Sie bitte nicht!“
    „Doch!“ wimmerte der Verkäufer. „Erst ein Anzug für einen Toten samt der Puppe im Fenster und nun noch ein Heinzelmännchen im Jackett, — das ist zuviel!“ Er verdrehte die Augen und sank auf den Teppich.

    „Ist er tot?“ fragte der Junge.
    „Nein, er ist nur ohnmächtig“, antwortete der Jokus und winkte dem Geschäftsführer.
    „Und wozu brauchen wir die Schaufensterpuppe wirklich?“ fragte der Kleine.
    „Das erzähle ich dir später“, sagte der Jokus.
    Nachdem der Geschäftsführer herbeigeeilt war und seinen Verkäufer auf einen Stuhl gehoben hatte, damit er dort wieder zu sich käme, trug der Professor erneut seine Wünsche vor. „Ich möchte den marineblauen Einreiher samt der Puppe kaufen, die ihn trägt. Außerdem auch das Hemd, das sie anhat, die Krawatte, die Hosenträger, die Schuhe und die Socken. Was kostet das, bitte?“
    Der Geschäftsführer antwortete unsicher: „Das weiß ich nicht genau, mein Herr.“
    Der Verkäufer bewegte die blassen Lippen und stammelte: „512 Mark. Bei Barzahlung ein Prozent Skonto. Verbleiben 506 Mark 88 Pfennige.“ Man sieht, es war ein
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