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Der kleine Lord

Titel: Der kleine Lord
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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einer Fülle
weichen, seidigen, golden schimmernden Haares, das sich nach sechs
Monaten in leichten Locken um sein Köpfchen krauste; er hatte
große braune Augen, lange Wimpern und ein herziges kleines
Gesicht, ferner so kräftige Glieder, daß er mit neun
Monaten plötzlich auf seinen kerzengeraden strammen Beinchen
zu wandeln anfing, und dabei war er ein so gesittetes Baby,
daß es eine Lust war, seine Bekanntschaft zu machen. Er schien
davon auszugehen, daß jeder Mensch sein Freund sei, und sprach
jemand mit ihm, wenn er in seinem Kinderwagen auf der Straße
war, so pflegte er den Unbekannten erst ganz ernsthaft aus seinen
braunen Augen anzuschauen, worauf dann sofort ein sonniges
Lächeln folgte. Daher kam es denn auch, daß in der
ganzen Nachbarschaft keine Menschenseele war – nicht einmal
der Spezereihändler an der Ecke, und der war anerkannt der
gröbste Mensch unter Gottes Sonne – die nicht eine
Freude daran gehabt hätte, ihn zu sehen und mit ihm zu
sprechen, und mit jedem Monat, den er älter wurde, ward er
hübscher und lebendiger.
    Als er groß genug war, mit seiner Kinderfrau
auszugehen in einem kurzen, weißen Röckchen, mit
einem großen, weißen Hut auf dem lockigen Haar,
erregte er allgemeines Aufsehen, und die Wärterin hatte der
Mama die längsten Geschichten zu erzählen von Damen,
die ihre Wagen hatten anhalten lassen und ausgestiegen waren, um mit
ihm zu sprechen, und die ganz entzückt gewesen waren, als er
in seiner harmlosen, unbefangenen Art mit ihnen geplaudert hatte, als
ob er sie von jeher gekannt. Diese seltsam unbefangene Art und Weise,
mit jedermann Freundschaft zu schließen, gab ihm einen ganz
eigenartigen Reiz. Er war eine offne, rückhaltslos vertrauende
Natur, und sein warmes kleines Herz wollte, daß es allen so
wohl zu Mute sein solle, wie ihm selbst, das war's, was ihn die
Empfindungen derer, die um ihn waren, so merkwürdig schnell
verstehen ließ. Vielleicht hatte sich dieser Zug auch mehr
entwickelt, weil er immer mit Vater und Mutter lebte, die liebevoll,
gütig und voll echter Herzensbildung waren; nie hörte
er zu Hause ein unhöfliches oder rauhes Wort: von jeher wurde
er mit Liebe und Zärtlichkeit behandelt und umgeben, und so
strömte sein Kinderherz auch von Liebe und Wärme
für andre über. Immer hatte er sein
Mütterchen mit süßen Schmeichelnamen nennen
hören, und deshalb sprach auch er nie anders mit ihr und von
ihr; immer hatte er gesehen, daß sein Papa sie
ängstlich behütete und für sie sorgte, und
so lernte auch er ganz von selbst für sie sorgen. Und als er
nun wußte, daß sein Papa nicht wiederkommen werde,
und sah, wie traurig sie war, da entstand unbewußt in seinem
kleinen Herzen das Gefühl, daß er nun alles thun
müsse, um sie glücklich zu machen. Er war ja noch ein
kleines Kind, aber dies Gefühl lebte in ihm, wenn er auf ihre
Kniee kletterte und sie küßte und sein lockiges
Köpfchen an ihre Wange drückte, oder wenn er ihr sein
Spielzeug und seine Bilderbücher zum Ansehen brachte oder sich
schweigend und regungslos neben sie kauerte, wenn sie auf dem Sofa lag.
    Er war noch nicht alt genug, um andre Trostesmittel zu finden,
aber er that sein Bestes, und er selbst hatte keine Vorstellung davon,
wie wohl sein stilles Thun dem armen, vereinsamten Herzen that.
    »O Mary!« hörte er seine Mama
einmal zu der alten Dienerin sagen, »ich bin
überzeugt, er will mir auf seine Weise helfen und mich
trösten. Zuweilen sieht er mich an mit großen,
verwunderten Augen voll tiefster Liebe, als ob ich ihm im Innersten
leid thäte, und dann kommt er und streichelt mich oder zeigt
mir etwas. Er ist so merkwürdig reif; ich bin
überzeugt, er denkt so weit.«
    Als er heranwuchs, hatte er eine Menge wunderlicher
Einfälle, die höchst ergötzlich waren, und
wußte seine Mama so gut zu unterhalten, daß sie gar
nicht nach andrer Gesellschaft verlangte; sie gingen miteinander
spazieren und schwatzten und spielten zusammen. Er war noch ein ganz
kleiner Bursche, als er lesen lernte, und hernach lag er abends auf dem
Teppich vor dem Kamin und las vor – Kindergeschichten,
zuweilen auch große Bücher, wie erwachsene Leute sie
lesen, und hier und da sogar die Zeitung, und dabei hörte Mary
in ihrer Küche Mrs. Errol manchmal hell auflachen
über seine wunderlichen Bemerkungen: »Und, meiner
Seel',« sagte Mary zu dem Spezereihändler,
»so verstockt könnte keiner sein, daß er
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