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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition)
Autoren: Donna Tartt
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schwimmen. Stell dir das vor. Er ist zwei volle Tage da drin auf und ab gesprungen und hat versucht, den Kopf über Wasser zu halten. So was Ähnliches hab ich mal gelesen, ich glaube, es war im Zweiten Weltkrieg, da ist ein Flugzeug in den Pazifik gestürzt. Die Typen lagen tagelang im Wasser, und da gab’s massenhaft Haifische. Man konnte nicht schlafen, sondern musste rumschwimmen und andauernd auf die Haifische aufpassen, sonst schlichen
sie sich ran und bissen einem das Bein ab.« Eingehend betrachtete er das Foto, und ihn schauderte. »Der arme Kerl. Steckt zwei volle Tage in diesem fiesen Ding, wie ’ne Ratte im Eimer. Ein bescheuertes Versteck, wenn man nicht schwimmen kann.«
    Hely konnte nicht mehr. »So war es nicht«, platzte er heraus.
    »Ach ja«, sagte Pem gelangweilt. »Als ob du das wüsstest.«
    Hely ließ aufgeregt die Beine baumeln und wartete darauf, dass sein Bruder die Zeitung weglegte oder noch etwas sagte.
    »Es war Harriet«, sagte er schließlich. »Sie hat’s getan.«
    »Hmm?«
    »Sie war’s. Sie hat ihn da reingeschubst.«
    Pem sah ihn an. »Wen geschubst? Du meinst Danny Ratliff?«
    »Ja. Weil er ihren Bruder ermordet hat.«
    Pem schnaubte. »Danny Ratliff hat Robin nicht ermordet, ebenso wenig wie ich.« Er blätterte die Zeitung um. »Wir waren alle in derselben Klasse.«
    »Hat er doch«, sagte Hely eifrig. »Harriet hat Beweise.«
    »Ach ja? Zum Beispiel?«
    »Ich weiß nicht – ’ne Menge Zeug. Aber sie kann es beweisen.«
    »Ja klar.«
    »Jedenfalls.« Hely konnte sich nicht mehr halten. »Sie ist ihnen da runter gefolgt, mit einem Revolver, und sie hat Farish Ratliff erschossen, und dann hat sie Danny gezwungen, auf den Wasserturm zu klettern und reinzuspringen.«
    Pemberton blätterte zur letzten Seite der Zeitung, wo die Comics waren. »Ich glaube, Mom lässt dich zu viel Coke trinken«, sagte er.
    »Es ist wahr! Ich schwöre!«, rief Hely aufgeregt. Weil...« Und dann fiel ihm ein, dass er nicht sagen konnte, warum er es wusste, und senkte den Blick.
    »Wenn sie einen Revolver hatte«, sagte Pemberton, »warum hat sie dann nicht alle beide erschossen, und fertig?« Er schob seinen Teller zur Seite und schaute Hely an wie einen Kretin. »Wie zum Teufel soll Harriet ausgerechnet Danny Ratliff zwingen,
auf dieses Ding zu klettern? Danny Ratliff ist ein zäher Hund. Selbst wenn sie einen Revolver hätte, er könnte ihn ihr in zwei Sekunden wegnehmen. Verflucht, er könnte mir einen Revolver in zwei Sekunden wegnehmen. Wenn du dir Lügengeschichten ausdenken willst, Hely, dann musst du dir schon was Besseres einfallen lassen.«
    »Ich weiß nicht, wie sie es gemacht hat«, sagte Hely bockig und starrte in seine Frühstücksflocken. »Aber sie hat. Ich weiß es.«
    »Lies doch selber«, sagte Pem und schob ihm die Zeitung herüber, »dann siehst du, was für ein Idiot du bist. Sie hatten Drogen im Turm versteckt. Und sie haben sich darum gestritten. Die Drogen schwammen im Wasser. Deswegen waren sie überhaupt da oben.«
    Es kostete Hely gewaltige Mühe, aber er schwieg. Ihm war plötzlich beklemmend klar geworden, dass er schon sehr viel mehr gesagt hatte, als gut war.»Außerdem«, sagte Pemberton, »ist Harriet im Krankenhaus. Das weißt du, Blödmann.«
    »Na, und wenn sie mit ’ner Kanone am Wasserturm war?«, sagte Hely erbost. »Und wenn sie mit diesen Typen Streit gekriegt hat? Und dabei verletzt wurde? Und wenn sie die Kanone am Wasserturm zurückgelassen hat, und wenn sie jemanden gebeten hat, hinzugehen und ...«
    »Nein. Harriet ist im Krankenhaus, weil sie Epilepsie hat. Epilepsie«, sagte Pemberton und tippte sich an die Stirn. »Du Schwachkopf.«
    »Oh, Pem!«, rief ihre Mutter in der Tür. Ihr Haar war frisch geföhnt, und sie trug ein kurzes Tennisröckchen, das ihre Bräune betonte. »Warum hast du ihm das erzählt?«
    »Ich wusste nicht, dass ich das nicht sollte«, sagte Pem mürrisch.
    »Ich hab’s dir gesagt!«
    »Sorry. Hab ich vergessen.«
    Hely schaute verwirrt zwischen den beiden hin und her.
    »Das ist ein schlimmes Stigma für ein Kind in der Schule«, sagte ihre Mutter und setzte sich zu ihnen an den Tisch. »Es wäre schrecklich für sie, wenn es sich herumspräche. Obwohl«,
sie griff nach Pems Gabel und nahm ein großes Stück von der Cremeschnitte, die er übrig gelassen hatte, »ich war ja nicht überrascht, als ich es hörte, und euer Vater auch nicht. Es erklärt vieles.«
    »Was ist Epilepsie?«, fragte Hely unsicher. »Ist das so was
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