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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord
Autoren: Laura Joh Rowland
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Haus bitten oder die Tür verriegeln sollte. Ein Hustenanfall schüttelte den alten Mann. Als er wieder Luft bekam, fragte er: »Bist du nach Hause gekommen, um zu bleiben?« Die Hoffnung, die in seiner Stimme mitschwang, umfaßte Myriaden unausgesprochener Bitten.
    Sano räusperte sich. »Chichive« , sagte er und verbeugte sich, »ich bin nur nach Hause gekommen, um ein paar freie Tage bei euch zu verbringen. Der Shōgun hat mich zu seinem Sonderermittler ernannt. Wenn ich euch wieder verlasse, werde ich mich im Palast einrichten und mein neues Amt antreten – für zehnmal soviel Lohn wie zuvor.« Da: Er hatte es laut gesagt. Jemandem von seiner Belohnung zu erzählen ließ sie für Sano erst wirklich erscheinen. Als der Shōgun ihm sein neues Amt übertrug, hatte Sano es nicht fassen können; es kam ihm auch jetzt noch unglaublich vor – und beängstigend. Die Aussicht auf sein hohes Amt erfüllte Sanos Inneres mit gestaltlosem Schrecken, so daß kein Platz für Freude blieb. »Wenn du mich einläßt, werde ich es dir erklären.«
    Ungläubig runzelte Sanos Vater die Stirn. Dann wanderte der Blick des alten Mannes, der bislang auf Sanos Gesicht geruht hatte, über das Pferd, die Kleidung und die Schwerter. Er wurde blaß, und der Arm, mit dem er sich am Türrahmen abstützte, begann zu zittern. Plötzlich sank der alte Mann nach vorn.
    »Chichive! «
    Sano ließ die Zügel fallen, rannte los und fing den Vater auf. In diesem Augenblick erschien seine Mutter im Türeingang. Ihre freudige Begrüßung verwandelte sich in einen Aufschrei des Entsetzens, als sie das aschgraue Gesicht ihres Mannes sah. Mit Hilfe der Mutter trug Sano den alten Mann ins Haus und bettete ihn neben dem Kohlebecken unter warme Decken. Dann ging Sano nach draußen, um das Pferd in den Stall zu bringen.
    »Wir haben uns solche Sorgen gemacht, Ichirō! Was ist denn mit dir geschehen?« fragte seine Mutter mit ängstlicher Stimme, als Sano zurück ins Haus kam. »Wo bist du gewesen?« Mit ehrfürchtigem Staunen betrachtete sie Sanos Kleidung und die Schwerter; dann richtete ihr Blick sich auf die mit Kostbarkeiten beladenen Satteltaschen, die ihr Sohn in den Armen hielt. »Was hat das alles zu bedeuten?«
    Sano kniete vor Vater und Mutter nieder. Tokugawa Tsunayoshi hatte ihm die Erlaubnis erteilt, den Eltern die Wahrheit zu erzählen. Nachdem er ihnen das Versprechen abgenommen hatte, Schweigen zu bewahren, berichtete er ihnen alles. »Falls irgend jemand euch fragt, erzählt ihm nur, daß der Shōgun mich befördert hat, weil ich ihm als yoriki so gute Dienste geleistet habe«, fügte er hinzu, nachdem er geendet hatte. Auch diese Geschichte hatten Kammerherr Yanagisawa und die Ältesten sich einfallen lassen, um den wirklichen Grund für Sanos Beförderung zu vertuschen.
    Wie geschickt sie mich bei dieser ganzen Täuschungsgeschichte zu ihrem Komplizen gemacht haben, ging es Sano durch den Kopf.
    Seine Mutter reagierte mit überschwenglicher Freude auf diese Neuigkeiten. »Oh, Ichirō«, rief sie, »du bist ein Held! Und was für eine wundervolle Belohnung du für deinen Mut bekommen hast!« Mit Tränen in den Augen blickte sie ihn strahlend an. »Es hat sich also doch noch alles zum Guten gewendet!«
    Nur zu gern hätte Sano diese Ansicht geteilt. Doch ohne einen genauen Grund dafür nennen zu können, hegte er die Befürchtung, seine neue Aufgabe als Sonderermittler des Shōgun könne sich eher als Bestrafung denn als Belohnung erweisen. Er versuchte, diesen störenden Gedanken beiseite zu schieben, und brachte für seine Mutter ein Lächeln zustande. Schließlich wandte er sich dem Vater zu.
    Der alte Mann nickte nur und sagte: »Du hast dem Namen unserer Familie Ehre gemacht, mein Sohn.« Doch er saß aufrechter da als zuvor, und sichtlich gewann er wieder an Farbe, Energie und Lebenskraft.
    Lachend erhob sich Sanos Mutter. »Bei all dieser Aufregung hätte ich doch beinahe unser Festtagsmahl vergessen!« Sie eilte aus dem Zimmer in die Küche.
    Beim anschließenden Neujahrsschmaus zwang Sano sich, seiner Mutter zuliebe zu essen. Der Schmerz und die Müdigkeit hatten ihm den Appetit auf rote Bohnen und kalte Suppe, auf süßen, gewürzten Wein und all die anderen Leckerbissen genommen. Es bereitete ihm jedoch die größte Freude zu beobachten, wie sein Vater mit ungewöhnlich gesundem Appetit aß, was darauf hindeutete, daß der alte Mann wieder genesen würde.
    Doch Sano hatte nur den Wunsch, allein zu sein, um zu versuchen, vielleicht
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