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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst
Autoren: Peter Prange
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er
laut Beschluss ihrer beider Väter dermaleinst heiraten sollte … Im selben
Moment fing Teofilos Herz an zu schlagen, als galoppierte ein Pferd in seiner
Brust. Chiara war das einzige Mädchen, das sich traute, die Haare offen zu
tragen, und bei ihrer ersten und einzigen Begegnung hatten unter dem Saum ihrer
Tunika zwei verschiedenfarbige Strümpfe hervorgelugt, die ihm den Atem geraubt
und ihn bis in seine Träume verfolgt hatten. Ob sie die Strümpfe heute wohl
wieder trug?
    Â»Chiara …«, flüsterte er.
    Als würde sie seine Gedanken erraten, schlug sie die Augen nieder.
Doch wie sie das tat und dabei rot wurde und an ihrem blonden Engelshaar
zupfte, war so unglaublich schön, dass er nur noch den einen Wunsch verspürte,
zu ihr zu laufen und sie in den Arm zu nehmen. Herrgott, warum dauerte im Leben
immer alles so fürchterlich lange? Ein Jahr musste er noch warten, bis seine Ausbildung
als Page begann. Aber erst wenn er zum Knappen ernannt worden war, war er ein
richtiger Mann, den ein so überirdisches Wesen wie Chiara überhaupt beachten
würde …
    Â»Wie alt muss man sein, damit man heiraten kann?«
    Teofilo hatte gar nicht gemerkt, dass er die Frage tatsächlich
ausgesprochen hatte. Irritiert drehte seine Mutter sich zu ihm herum.
    Â»Pssst, mein Liebling«, erwiderte sie. »Dein Leben liegt in Gottes
Hand. Er wird uns zeigen, was sein Wille ist. Und wer weiß, vielleicht will er
ja gar nicht, dass du …«
    Bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, schlugen die Glocken
der Basilika zu einem machtvollen Festgeläut an, und ein Jubel aus tausend
Kehlen erschallte und füllte das dunkle Gewölbe.
    Â»Leben und Sieg dem Kaiser! Dem Beschützer des Imperiums!«
    Während das Volk den neuen Herrscher pries, in allen Sprachen, die
seit dem Turmbau zu Babel von Menschen gesprochen wurden, erhob Konrad sich von
den Knien, und der Jubel wurde zum Orkan. Mit ernstem Lächeln winkte der neu
gekrönte Kaiser seinen Untertanen zu – da brach, nicht weit von Teofilo
entfernt, ein Tumult los, in den Reihen junger Adliger, die sich gegenseitig
aus dem Weg drängten, um dem Herrscher möglichst nah zu sein, genau zwischen
den zwei Säulen, zwischen denen Teofilo eben noch Chiara gesichtet hatte.
    Ihm stockte der Atem. Wo war sie geblieben?
    Anstelle seiner Cousine sah er nur ein wüstes Knäuel wild aufeinander
einschlagender Männer. Fäuste sausten durch die Luft, Schwerter zuckten aus den
Scheiden, und plötzlich, inmitten des schlimmsten Getümmels, eine grüne Tunika,
die kleine, zarte, zerbrechliche Gestalt eines Mädchens, zwei zappelnde Beine,
in unterschiedlichen Strümpfen – der eine rot, der andere gold …
    Â»Chiara!«
    5
    Chiara wollte schreien, doch während sie versuchte, auf allen
Vieren kriechend dem Getümmel zu entkommen, traf ein Stiefel sie mit solcher
Macht in den Rippen, dass ihr kein Ton über die Lippen kam. Nach Luft
schnappend, hielt sie sich die schmerzende Seite. Wohin sie schaute, über ihr,
neben ihr, vor ihr, hinter hier: überall war sie von Männern umzingelt, die
doppelt so groß waren wie sie und übereinander her fielen – ein einziges Ringen
und Hauen, Stoßen und Quetschen. Ein Mann flog rückwärts in ihre Richtung, und
prallte mit dumpfem Schlag neben ihr auf.
    Wie sollte sie hier nur herauskommen?
    Plötzlich tat sich eine Lücke vor ihr auf, und sie schaffte es, bis
zu einer Säule vorzudringen. Die Rippen taten ihr so weh, dass sie kaum atmen
konnte. Voller Angst schaute sie sich in dem düsteren Gotteshaus um. Wo war ihr
Vater? Die Wachen des Papstes hatten sie daran gehindert, ihn zur Mitte der
Basilika zu begleiten, wo die Oberhäupter der Adelsfamilien den Kaiser und den
Papst empfingen, sodass er sie in der Obhut irgendeines Fremden unweit des
Portals zurückgelassen hatte, bei einem Sabiner, der sich aber, als der Streit
losgebrochen war, sogleich in den Kampf geworfen und sie vergessen hatte. In
ihrer Verzweiflung schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel: »Heilige Maria,
Mutter Gottes, bitte für uns Sünder. Jetzt und in der Stunde unseres Todes …«
    Â»Chiara!«
    Als sie aus ihrer Deckung lugte, um zu schauen, wer ihren Namen gerufen
hatte, traf sie ein Ellbogen an der Schulter, und sie taumelte zurück gegen die
Säule.
    Â»Chiara! Hier! Hier bin ich!«
    Endlich sah sie sein
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