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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst
Autoren: Peter Prange
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Werkzeug des göttlichen Heilsplans war, dass all
das Böse, das er gewirkt hat, geschehen musste, damit Gutes daraus entstehen
konnte.«
    Â»Haben Sie keine Angst, sich zu versündigen?«, entgegnete mein
amerikanischer Kollege. »Was sollte der Zweck eines so widerwärtigen Lebens
sein?«
    Die Antwort auf diese Frage fiel mir leicht. Abt Bartolomeo hatte
sie gegeben, in Erwiderung derselben Frage, die Chiara di Sasso ihm gestellt
hatte.
    Â»Teofilo di Tusculo war kein Vollender«, erklärte ich, »sondern ein
Wegbereiter. Sein Pontifikat war die Larve, aus der eine neue Ordnung entstand.
Nur wenige Jahre nach seinem Tod erfolgte König Heinrichs Gang nach Canossa,
und Benedikts Nachfolger auf dem Stuhl Petri, vor dem der König auf die Knie
ging, Papst Gregor VII ., war niemand anders als der
Mönch Hildebrand, der als junger Mann Teofilo di Tusculos Taufpaten Giovanni
Graziano ins Exil nach Köln begleitete.«
    Â»Die Zusammenhänge, die Sie hier konstruieren, sind zu kompliziert
für ein schlichtes amerikanisches Gemüt«, wandte Paul Mortimer mit süffisanter
Miene ein.
    Â»Dann erlauben Sie mir den Versuch einer Erklärung. Im Investiturstreit
zwischen Gregor und Heinrich wurde entschieden, dass jede weltliche Macht
fortan der geistigen Legitimation bedarf. Kein weltliches Amt ohne den Segen
Gottes! Um zu dieser Ordnung zu gelangen, war der Weg durch das Chaos von
Benedikts Pontifikat nötig. Und ich bin sicher, Teofilo di Tusculo hat unter
den Verbrechen, derer er sich dabei schuldig gemacht hat, nicht weniger
gelitten als einst Judas Ischarioth unter dem Verrat seines Herrn.«
    Kardinal Xing lächelte und nickte mehrmals mit dem Kopf. Offenbar
hatte ich ähnliche Schlüsse aus dem Leben Benedikts IX .
gezogen wie er. Doch Paul Mortimer, der sich von Anfang an gegen den Antrag
unseres taiwanesischen Kollegen erklärt hatte, meldete erneut Widerspruch an.
    Â»Was Sie hier vortragen, ist abenteuerlichste Spekulation. Doch
halten wir uns nicht länger mit der komplizierten Deutung historischer
Entwicklungen auf. Um die Sache abzukürzen, schlage ich vor, dass wir zu
unserer Ausgangsfrage zurückkehren.« Er unterbrach sich, um meine Zustimmung
abzuwarten.
    Ich nickte.
    Â»â€ºDas Wunder der Liebe‹«, zitierte er mich mit hochgezogenen Brauen,
»damit mag man vielleicht einen Schlagertext betiteln, aber in der Behandlung
einer so ernsthaften Frage, wie sie hier zur Debatte steht, der Frage nach
einem wirklichen und wahrhaftigen Wunder, das uns berechtigen würde, einen
Unmenschen wie Teofilo di Tusculo seligzusprechen, halte ich es geradezu für
abgeschmackt, mit einem solchen Begriff zu argumentieren.«
    Beifall heischend blickte er in die Runde. Nicht wenige Mitglieder
der Kongregation bekundeten Zustimmung für seine Rede, der Vergleich mit dem
Schlagertext hatte seine Wirkung nicht verfehlt. In einer Mischung aus Stolz
und Verlegenheit begann Bischof Mortimer seine Brille zu putzen.
    Â»Ich pflichte Ihnen vollkommen bei«, erwiderte ich.
    Â»Wie bitte?« Bischof Mortimer setzte die Brille wieder auf und
schaute mich an, als hege er Zweifel an meiner Ernsthaftigkeit.
    Â»Ja«, bestätigte ich. »Ich teile Ihre Meinung, wenn auch aus anderen
Gründen. Zwar halte ich nach wie vor dafür, dass es ein Liebeswunder war,
welches Teofilo di Tusculos Leben die entscheidende Wende gab. Doch dieses Wunder
wurde an ihm nur offenbar, gewirkt hat er es nicht.«
    Â»Und welchen Schluss ziehen Sie daraus?«, fragte Kardinal Xing.
    Bevor ich eine Antwort gab, räusperte ich mich. »Nach reiflicher
Überlegung«, sagte ich, »sehe ich mich außerstande, die Eröffnung eines
Prozesses zur Seligsprechung von Papst Benedikt IX .
zu empfehlen.«
    Â»Dem Heiligen Geist sei Lob und Dank«, rief Paul Mortimer, während
Kardinal Xing die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben stand. »Dann plädiere
ich für eine sofortige Nichtigkeitserklärung des gesamten Verfahrens.«
    Â»Einspruch«, unterbrach ich ihn. »Auch wenn mir eine mögliche
Seligsprechung Benedikts durch die vorliegenden Fakten nicht gerechtfertigt
erscheint, hielte ich es für einen schweren Fehler, darum das gesamte Verfahren einzustellen. Stattdessen schlage ich
vor, einen apostolischen Prozess zur Seligsprechung Chiara di Sassos
einzuleiten.«
    Â»Chiara di Sasso?«, fragte Kardinalpräfekt Contadini. »Wer
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