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Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)

Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)

Titel: Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
Autoren: Lara Adrian schreibt als Tina St. John
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beherrschten ihre Züge, als Calandra ihre Tochter erblickte.
    »Was ist geschehen, Kind? Bist du verletzt?«
    Serena schüttelte den Kopf. »Nein, ich nicht. Aber da ist ein Mann – er wurde an Land gespült!«
    Calandra trat eilig vor und umfasste mit festem Griff Serenas Schultern. »Wo ist dein anderer Handschuh?«
    »Ich weiß es nicht. Ich … muss ihn verloren haben.« Der harte Griff ihrer Mutter ließ sie zusammenzucken. »Der Mann ist verletzt, Mutter. Er blutet. Er bat mich, ihm zu helfen.«
    Die Farbe wich aus Calandras Gesicht. »Er hat dich angesprochen? Himmel, Serena, du hast ihn doch hoffentlich nicht mit der bloßen Hand berührt!«
    »Nein. Das würde ich niemals tun. Du hast mich doch gewarnt … «
    Calandra stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, ehe sie ihre Tochter an sich drückte. »Ich habe dich vieles gelehrt, um dich auf einen Vorfall wie diesen vorzubereiten. Nun kommt ein Fremder, trägt seine Sorgen und Nöte in unser Haus und macht uns nichts als Schwierigkeiten.«
    Serena entwand sich den Armen ihrer Mutter und schüttelte den Kopf. »Aber er ist doch in Schwierigkeiten. Er hat gelitten, Mutter, und wäre beinahe ertrunken. Komm, wir müssen ihm helfen.«
    Calandra blieb reglos stehen. Und als sich Serena anschickte, zu dem Waldpfad zurückzulaufen, packte ihre Mutter sie beim Handgelenk und hielt sie zurück.
    »Was stehst du noch da?«, fragte Serena und wunderte sich, warum die Frau, die schon so viele verwundete und kranke Tiere aufopfernd gesund gepflegt hatte, jetzt so überhaupt kein Mitgefühl zeigte. War Calandras Angst vor den Menschen wirklich so groß, dass sie jemandem, der in Not war, jegliche Hilfe verweigerte? »Wirst du nicht mitkommen?«
    »Nein«, beschied Calandra ihr knapp. »Und ich werde dir nicht erlauben, noch einmal zu dem Mann zu gehen. Du wirst hierbleiben und den Fremden aus deinen Gedanken verbannen.«
    Ungläubig starrte Serena ihre Mutter an und hatte das Gefühl, dass ihr die Frau, die ihr sonst alles bedeutete, in diesem Augenblick fremder war als der unbekannte Seemann, der an ihrem Küstenstreifen an Land gespült worden war. »Aber … er ist doch verletzt, vielleicht sogar schwer. Er blutet und leidet gewiss Schmerzen. Verstehst du denn nicht? Er ist schwach, und wenn wir ihm nicht helfen, wird er womöglich sterben.«
    Calandra heftete ihren harten, unnachgiebigen Blick auf Serena. »Bete, dass seine Qualen bald ein Ende haben, mein Kind.«

3
    Am Abend lag Serena im Bett und fand keinen Schlaf, da das schlechte Gewissen an ihr nagte. Wie sollte sie ruhen, wenn dort draußen in der Dunkelheit ein Mensch seinen womöglich letzten Atemzug tat? Er war hilflos, konnte sogar im Wechsel der Gezeiten ertrinken und vom Wasser wieder zurück ins Meer gezogen werden. In der Stille der kleinen Hütte legte Serena die Stirn in Falten, stieß die Decke dann entschlossen von sich und setzte sich in der schmalen Bettstatt auf.
    Von der anderen Seite des Raums vernahm sie die leisen Atemgeräusche ihrer Mutter, die ruhig und friedlich auf ihrem Lager schlief.
    Es erschien ihr ungerecht.
    Sie hielt es nicht für richtig, dass ihre Mutter und sie nichts für den Fremden taten, der einsam und verlassen am Strand lag.
    Serena hatte immer noch den Anhänger. Behutsam holte sie die Kette unter der dünnen Matratze hervor, unter der sie das Schmuckstück am Nachmittag versteckt hatte, damit ihre Mutter es nicht entdeckte und sie deswegen schalt. Schlangenförmig lagen die zierlichen goldenen Glieder in ihrer Hand, der fein gearbeitete Anhänger glitzerte im Mondlicht, das durch die nicht verdunkelten Fenster fiel. Sie hatte dem Mann das Kettchen nicht wegnehmen wollen, aber in ihrem Schrecken und bei ihrer überhasteten Flucht hatte sie es einfach mitgenommen.
    Nun kam sie sich wie eine gemeine Diebin vor. Der Anhänger gehörte ihr nicht, sie durfte ihn nicht behalten. Sie musste dem Mann das Erinnerungsstück zurückbringen, ganz gleich, wie entkräftet der Fremde unten am Strand auch sein mochte.
    Und insgeheim musste sie sich eingestehen, dass sie wissen wollte, ob es nicht doch noch eine Möglichkeit gab, dem Fremden zu helfen, auch wenn ihre Mutter sich vehement geweigert hatte.
    Ganz vorsichtig und darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, erhob sich Serena von ihrem Lager. Der Saum ihres langen Unterhemds umspielte ihre Füße in geisterhaftem Weiß, als sie lautlos über den aufgerauten Boden der Hütte ging. Keine zehn Schritte später streckte sie die
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