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Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)

Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)

Titel: Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
Autoren: Lara Adrian schreibt als Tina St. John
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beizumessen. Dies war nicht der erste Mann, den sie zu Gesicht bekam. Einmal, als sie sich zu weit in dem Waldstück vorgewagt hatte, war sie einem rotblonden Jüngling aus der nahe gelegenen Stadt Egremont begegnet. Der junge Edelmann hatte sich gerade auf der Jagd nach Hasen befunden; beinahe wäre Serena von einem Pfeil in den Rücken getroffen worden, als sie versucht hatte, der Aufmerksamkeit des Fremden zu entgehen. Seitdem hatte sie gelernt, vorsichtiger zu sein.
    Doch die schlaksige Erscheinung des hochnäsigen jungen Burschen aus Egremont verblasste angesichts der harten Konturen dieses Mannes.
    Zögernd kniete sich Serena neben dem Unbekannten in den Sand und beugte sich über den lang hingestreckten Körper, um den Mann, den die raue See herausgegeben hatte, genauer betrachten zu können. Er trug einen Vollbart. Eine Spur seidiger Haare zog sich vom Brustkorb über seine straffe Bauchdecke und verschwand im Bund seiner Hose. An seine Herzgegend schmiegte sich der goldene Anhänger, der ihre Neugier geweckt hatte. Es war ein zierliches Schmuckstück, das zu ihrer Mutter passen würde. Serena beugte sich weiter hinab und fragte sich, ob ihr die Machart des Anhängers etwas über den Mann verriete – oder über die Dame, für die er ursprünglich angefertigt worden war. Behutsam hob sie das filigrane Amulett mit der behandschuhten Rechten an. Zu ihrem Schrecken gaben die kleinen Kettenglieder in ihrer Hand nach, und die Kette löste sich vom Hals des Mannes. Rasch fing sie das Erinnerungsstück auf, ehe es in den feuchten Sand fallen konnte, und legte es vorsichtig in ihre mit Leder überzogene Handfläche.
    Der Anhänger war der Form des Herzens nachempfunden, die fein getriebenen Glieder der Kette waren netzartig geformt und beinahe genauso zerbrechlich. Serena führte die freie Linke zum Mund und streifte sich mit den Zähnen den Handschuh ab. Das Gold fühlte sich an ihren Fingerspitzen warm an. Plötzlich ließ die schwache Hitze des Metalls sie zusammenzucken.
    Vorsichtig beäugte sie den Mann, sah das frische Blut, das noch aus seinen Wunden sickerte. Sie runzelte die Stirn, und im nächsten Augenblick hielt sie vor Schreck die Luft an, denn sie gewahrte, wie sich die Brust des Mannes unter einem flachen Atemzug leicht hob. Offenbar hatte sie einen Laut des Erstaunens von sich gegeben, denn der Mann schlug die Lider auf, unter deren schwarzen Wimpern glasige braune Augen sichtbar wurden. Er blinzelte angestrengt, als versuche er, die Umgebung wahrzunehmen.
    »Himmel!«, entfuhr es Serena in ihrem Schrecken. Rasch sprang sie auf, wich zurück und wäre beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert. »Ihr lebt ja!«
    Mit einem schweren Stöhnen rollte sich der Fremde mühsam auf die Seite. Ein rauer, erstickter Laut entrang sich seiner Kehle, als der Mann Salzwasser ausspie.
    Unwillkürlich wich Serena weiter zurück, verblüfft und von einer anwachsenden Furcht erfüllt.
    Er lebte.
    Wie benommen ließ sie den Lederhandschuh in den Sand fallen. Ihre bloßen Fingerspitzen kribbelten, berührten sie doch noch den Anhänger, den sie dem Seemann vom Hals genommen hatte.
    Berühre niemals einen von ihnen, hörte sie die ernsten Worte in ihrem Kopf. Die Menschen sind böse und grausam, jeder Einzelne von ihnen. Sie bringen dir nichts als Kummer und Schmerz.
    »Hilfe … «, stammelte der Mann mit tiefer Stimme. Mühsam hob er den Kopf und suchte Serenas ängstlichen Blick. »Bitte … helft … mir.«
    Er streckte die Hand nach ihr aus, doch Serena schrie auf, drehte sich um und rannte wie ein aufgeschrecktes Reh davon. Sie bahnte sich ihren Weg durch die Sträucher, eilte über den gewundenen Waldpfad zurück und achtete auf ihrer Flucht nicht auf die Dornen, die an ihren Röcken rissen und ihre bloßen Füße zerschrammten. Ganz außer Atem erreichte sie schließlich die Waldhütte. Ihre Mutter würde schon wissen, was nun zu tun war. Sie würde wissen, wie diesem Mann geholfen werden konnte.
    »Mutter!«, rief sie aufgeregt, und ihre Stimme überschlug sich. »Mutter, wo bist du? Komm rasch!«
    Calandra musste hinter der niedrigen Hütte gewesen sein, denn jetzt bog sie eilig um die Ecke. Sie wischte sich die Hände an der einfachen Schürze ab, die sie über dem graubraunen Bliaut trug. Dunkle Erdkrumen beschmutzten das schlichte Gewebe. Einzelne Strähnen ihres angegrauten, ehemals hellblonden Haars hatten sich aus dem langen Zopf gelöst und fielen ihr in das ovale, glatte Gesicht. Furcht und Schrecken
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