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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes
Autoren: Tatjana Stepanowa
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Handtasche zu holen; die Sonne schien ihr direkt in die Augen. Im selben Moment ertönte ein unterdrückter Schrei, ein heiseres, überraschtes Stöhnen; dann klirrte Metall, eine Autotür schlug krachend zu, und Kolossow rief: »Alle in Deckung! Lass ihn sofort los!«
    Vor dem Holunderstrauch, wo noch eine Sekunde zuvor Iwan allein gestanden hatte, waren jetzt zwei Personen: Iwan, wie erstarrt, gespannt wie eine Saite, mit angehaltenem Atem, und hinter ihm, den linken Arm fest um seinen Hals geschlungen und den Bruder wie einen Schutzschild vor sich haltend – Stepan Basarow. Er bog Iwans Kopf weit in den Nacken. Am schmächtigen Hals des Jungen trat scharf der Adamsapfel hervor. In seiner Hand hielt Stepan ein Messer. Katja erkannte das Finnmesser wieder, das damals so malerisch mit der Spitze nach oben aus dem Baumstumpf ragte, als in Otradnoje die Weihefeier stattgefunden hatte. Jetzt zeigte die Spitze direkt auf Iwans Hals, funkelte silbern in der Sonne . . .
    Nein!, dachte Katja, die nicht einmal hatte erschrecken können, so schnell war alles gegangen. Nein, das kann nicht sein. Das ist unmöglich!
    Stepan sah keineswegs aus wie ein Mann auf der Flucht oder wie ein Verrückter, der im Wald schläft und sich von rohem Fleisch ernährt. Er war frisch rasiert und hatte nicht einmal abgenommen. Schweigend starrte er sie an, schwer atmend, als wäre er gerade eine steile Anhöhe hinaufgerannt.
    »Ihr werdet alles tun, was ich sage«, rief er laut und deutlich. »Sonst schneide ich ihm die Kehle durch.«
    Erst jetzt sah Katja aus dem Augenwinkel, dass Kolossow seine Pistole auf Basarow gerichtet hielt. Hinter ihm standen die Wachsoldaten mit ebenfalls schussbereiten Maschinenpistolen, den Häftling fest zwischen sich geklemmt.
    »Mach keinen Blödsinn!«, stieß Kolossow heiser hervor. »Lass sofort deinen Bruder los!«
    »Ich wiederhole: Ihr werdet tun, was ich sage, sonst ist Iwan ein toter Mann!«
    Katja wagte nicht, sich zu rühren, sah aber, dass die Kamera lief und alles aufnahm. Iwan keuchte und stöhnte. Offenbar hatte er Schmerzen – Stepans Griff war eisern wie der eines Bären. Da plötzlich bemerkte Katja eine leichte Bewegung: Stepan zog den Arm ein kleines Stück zurück, als wolle er seinem Bruder das Atmen erleichtern.
    Mein Gott, dachte Katja, legen die uns etwa herein?
    Irgendetwas stimmte nicht an dieser Geiselnahme! Das merkte schließlich auch Kolossow, doch er kam nicht mehr dazu, etwas zu unternehmen. Stepan war schneller. »Dmitri – komm nach vorn, hierher zu mir! Ohne Wache, rasch!«, befahl er. »Du da, mit der Pistole! Lass die Knarre fallen, sonst. . .« Die Klinge seines Messers schnitt leicht in die Haut unter Iwans Kinn. Blut trat hervor.
    Das ist nicht wahr, Nikita, er wird ihn nicht töten, es ist nur ein Bluff!, schrie Katja in Gedanken auf, wagte es aber nicht, den Mund zu öffnen.
    »Zum letzten Mal – Dmitri, her zu mir! Du«, Stepan nickte zu Kolossow hinüber, »lass die Pistole fallen. Oder nein . . . gib sie ihr da drüben. Sie wird ganz bestimmt nicht auf mich schießen, stimmt’s, mein Schatz? Und du führst ihn selbst hierher. Das ist keine Fluchthilfe, Dmitri, mach dir keine Hoffnungen. Vor den Bullen kannst du vielleicht fliehen, aber nicht vor mir, Bruderherz.«
    »Warum tust du das?«, fragte Kolossow leise. Er zielte noch immer auf Basarow, aber Katja war klar, dass er nicht schießen würde.
    »Er wird dir und mir jetzt gleich zeigen, was er aus freien Stücken niemals gezeigt hätte.«
    »Sie begehen eine Straftat, Stepan«, warnte Kassjanow. In seiner Stimme lag ein seltsamer Unterton.
    »Du hältst die Klappe! Ich erinnere mich noch zu gut an deine Verhöre!«, zischte Stepan. »Ich zähle bis drei. Eins . . . zwei. . .«
    Katja zuckte zusammen: Kalter Stahl berührte ihre Hand. Kolossow reichte ihr die Pistole. Dann gab er der Wache ein Zeichen, und die Männer stießen Dmitri nach vorn. Er war bleich wie ein Leintuch. Schweißtropfen liefen ihm übers Gesicht.
    »Näher«, befahl Stepan und beobachtete scharf jede Bewegung um sich her. »Noch näher. Rührt euch ja nicht! Dmitri – mit dem Rücken zu mir. Los!«
    Die Rochade vollzog sich im Bruchteil einer Sekunde. Iwan wurde zur Seite gestoßen und presste sofort den Handrücken auf die blutige Schramme am Hals. Er sprach kein Wort, doch Katja sah in seinen dunklen Augen ein triumphierendes Aufblitzen. Die Klinge des Finnmessers legte sich nun an Dmitris Kehle.
    »Los, gehen wir«, zischte Stepan. »Und
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