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Der Kaiser von China

Der Kaiser von China

Titel: Der Kaiser von China
Autoren: Tilman Rammstedt
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werden würde, dass ich dann trotzdem alles erklären müsste. Erklärungen schuldete ich so oder so, dann konnten es genauso gut welche sein, bei denen ich mir nicht von allen Seiten Vorwürfe anhören müsste, bei denen nicht nur mit fassungslosem Kopfschütteln zu rechnen war, mit Geschrei und vielleicht mit Tränen, wahrscheinlich sogar mit ernüchtertem Schweigen. Wenn ich um die Erklärungen schon nicht herumkam, dann konnten es genauso gut welche sein, mit denen am Ende alle zufrieden waren.

Peking, den 15. Mai
    Meine Lieben,
    gestern sind Großvater und ich nach 15 Stunden und 25 Minuten Flugdauer in Peking gelandet. Der Flug verlief ruhig, auch wenn Großvater mehrfach das Kabinenpersonal auf angebliche Geräusche aufmerksam machte. Er schlief erst ein, nachdem ihm der Kapitän persönlich versichert hatte, dass er auch bei Dunkelheit problemlos weiterfliegen könne.
    Vom Capital Airport sind wir dann die 27 Kilometer ins Zentrum mit dem Taxi gefahren, was ungefähr 85 Yuan gekostet hat. Großvater hat sich während der Fahrt nach dem Namen fast jedes Gebäudes erkundigt, an dem wir vorbeifuhren, der Taxifahrer verstand jedoch kein Deutsch, auch kein sehr lautes, und bald gab Großvater dann auf, sagte immer mal wieder »Na ja« oder »Das wird halt auch irgendwas sein« und kaute dabei auf seinem Nikotinkaugummi herum.
    Wir wohnen im Bamboo Garden, einem gemütlichen und ruhigen Hotel. Die Angestellten sind nicht ganz so zuvorkommend wie gewünscht, das liege aber auch an der Kultur, erklärte mir Großvater. Die Räume sind geschmackvoll dekoriert, Ming-Möbel, ein kleines, aber sauberes Bad, vor dem Fenster viel Grün, allerdings, sagt Großvater, werde das typische Altstadtgassen-Flair etwas eingeschränkt durch den modernen Wohnblock direkt gegenüber. 680 Yuan zahlen wir für das Zimmer, ein mittlerer Preis, das haben wir verglichen.
    Am Abend sind Großvater und ich nur noch ein wenig durch Dongcheng spaziert (so heißt der Stadtteil, in dem wir wohnen),vorbei an der Östlichen Kirche mit ihrem quadratischen Vorplatz bis hinauf auf den Gipfel des Jingshan Parks, von wo aus wir das prachtvolle Panorama der Hauptstadt und einen majestätischen Blick auf die roten Dächer der Verbotenen Stadt genießen konnten. In diesem Park hat sich angeblich auch der letzte Ming-Kaiser erhängt, als die Rebellen die Stadtmauer erstürmten. Großvater war sehr ergriffen von dieser Geschichte. Nur so ein paar Rebellen, und zack – eine ganze Dynastie gehe zu Ende, sagte er kopfschüttelnd.
    Abends waren wir im Baguo Buyi essen, einem gleichermaßen günstigen wie beliebten Sichuan-Restaurant, das im prächtigen Stil einer chinesischen Herberge gehalten ist. Das Ambiente hatte durchaus Charakter und viel von einem Theater. Großvater wählte zhacai rousi , ein frittiertes Schweine-oder Rinderfilet mit braunem Senf, ich entschied mich für ganshao yan li , geschmorten Karpfen mit Schinken in süßscharfer Soße, der Großvater besser schmeckte als sein eigenes Gericht, also tauschten wir nach ein paar Bissen.
    Nur das mit den Stäbchen war ein Problem. Dass sie diesen Hokuspokus doch nur für die Touristen veranstalteten, behauptete Großvater, damit esse doch seit Jahrhunderten niemand mehr. Auch als ich ihm zeigte, dass all die anderen Gäste, fast ausschließlich Chinesen, klaglos und geschickt ihre Gerichte mithilfe dieser angeblich »vorsintflutlichen« Bestecke zu sich nahmen, winkte er ab. Touristen, sagte er, alles Touristen.
    Ich bestellte ihm schließlich Messer und Gabel, und jedes Mal, wenn mir ein Bissen zurück in die Schale fiel, lachte er höhnisch und erhob sein Glas: »Auf die Zivilisation.«
    Großvater schläft jetzt, ich habe noch ein Internetcafe gesucht, aber keines gefunden, eines nach dem anderen schließt hier in Peking angeblich, deshalb schreibe ich Euch dies per Hand und schicke es, sobald es geht. Alles Liebe, K.

Meine Geschwister hatten natürlich leicht reden gehabt, geradezu großzügig gaben sie sich, denn nun würde schließlich alles etwas teurer als geplant, aber sie seien nach wie vor dazu bereit, die Reisekosten gerecht aufzuteilen, selbst den Anteil meiner jüngeren Schwester, die sich das schließlich nicht leisten konnte, würden die Älteren übernehmen, »China«, sagten sie mit leuchtenden Augen, und dass ich echt ein Glückspilz sei, sie alle hätten angeblich schon lange davon geträumt, mal dorthin zu fahren, und es wurden Dinge gesagt wie »spannend« (mein ältester
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