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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman
Autoren: Hans Fallada
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bei mir, und wir gehen zusammen hin.«
    »Muss ich mich umziehen?«
    »Besser schon.«
    Während Arne in einem Buch blätterte und Kai sich umzog, dachte der: »Also das ist es: sich verlieben. Das ist die Arznei, die helfen soll. Du lieber Gott!«
    Aber dann, als sie die gewundene, dunkle Treppe zur Diele hinabtasteten, stieg eine Angst in ihm hoch. »Was tue ich? Fliehe ich vor mir? Ja, ich sehne mich nach Wärme, aber kann die von außen kommen? Ach – vielleicht überhaupt nicht von außen, überhaupt nicht von andern. Vielleicht liegt es an mir.«
    Er atmete hastig. Er flüsterte: »Arne, nein, ich kann nicht, sei nicht bös.«
    Der fasste ihn am Arm. »Du hast Lampenfieber. Das vergeht schon.«
    Es liegt am Leben, es liegt an den andern, dachte Kai.

3
    Auf dem Vorplatz glühte trüb flackernd die missvergnügte Flamme des Sparbrenners. Die aufleuchtende Helligkeit des Glühstrumpfes machte die beiden zwinkern. Im großen Spiegel erschienen ihre Gesichter fremd und weiß wie die von heimlichen Verschwörern.
    Aus dem Zimmer des Vaters klang Klavierspiel.
    »Zieh dich immer an, Arne, du brauchst gar nicht erst hereinzukommen, das dauert dann wieder so lange.«
    Als Kai die Tür öffnete, schlug ihm eine warme, von Pfeifenknaster durchduftete Luft entgegen. Im Einatmen empfand er eine Feindschaft gegen diese Lauheit, gegen dieses eingezäunte Daheimsein der Eltern, von dem er ausgeschlossen war, oben in seinem Zimmer, das nicht sein war, in dem er zu Gast wohnte. Hier waren die beiden zusammen, hier sprachen sie von Dingen, an denen teilzuhaben für ihn nicht zulässig war. Hier war Einheit, Nichts-Wünschen, Die-Welt-nicht-Brauchen, Zusammensein; dort oben Sehnen, Fortwollen, Schluchzen, Weinen, Begehren. Weiter vortretend grübelte er tief unten in sich: »Sie haben zu bestimmen, und doch ist uns nichts gemeinsam.«
    Seine Mutter lag auf dem Sofa, stark, mit etwas hilflosen Zügen, und schrieb auf den angezogenen Oberschenkeln mit sorgenvollem Gesicht einen Brief. Der Vater am Flügel unterbrach sein Spiel nicht, sondern warf nur mit einer kleinen Kopfdrehung einen abwartenden Blick auf Kai.
    »Ich bin nicht zum Abendessen da. Arne hat mich eingeladen. Wir wollen Mathematik arbeiten.«
    »Komm nicht zu spät wieder, Junge, dass du morgen aus dem Bett findest. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht.« Die Tür klappte, er löschte das Licht und folgte Arne, der lautlos gewartet hatte, auf die Straße.
    Es hatte aufgehört zu schneien. Ein eisiger Wind fegte die Häuserfluchten herab. In seinem Zuge klapperten die Gaslaternen. Der zertretene, kotig zerrinnende Schnee heftete sich schleimig an die Schuhe. Die Freunde hängten sich ineinander ein.
    »Ist es dir nicht manchmal unangenehm, so schwindeln zu müssen?«
    »Das schon. Aber was soll ich tun? Sie wollen es ja nicht anders.«
    »Dabei sind deine alten Herrschaften noch ganz vernünftig. Meine erst! Auf dringenden Antrag geben sie mir jetzt fünfzig Pfennig Taschengeld in der Woche. Was ich damit tu!«
    »Manchmal ekelt das einen alles an. Diese Heimlichkeiten, dieses Lügen. Immer ein schlechtes Gewissen. Aber es muss ja sein. Was haben wir heut Abend vor? Eine Harmlosigkeit. Sie hätten’s verboten. Sie verstehen uns nicht.«
    »Sie wollen nur nicht. Ich rechnete meinem alten Herrn vor, was ich brauchte. Er sagte nur: ›Ich hab in deinem Alter durch Stundengeben schon selbst verdienen müssen.‹ Nu ja.«
    Sie schwiegen und gingen raschen Schrittes die halbdunkle Straße hinunter, beinahe getröstet von dem Gefühl des Schritthaltens, des Einsseins im Gehen. Und doch hatte dieser Rhythmus etwas überredend Wehmütiges, in dem Kai tief und tiefer verschwamm. Die breiten Stämme der Platanen mit ihren trüben, grau verwaschenen Flecken stimmten ihn traurig. Ihre namenlos fremde Gebärde, dieses In-Steinen-Verwurzeltsein schien ihm doch ein wenig Verwandtschaft. Auch ihrem Erleben blieben die Dinge des täglichen Seins fremd. Ohne Vorbedingung, durch Zufall hier eingepflanzt gilbten ihre Blätter sommers wohl rasch in der immer wieder zurückgestrahlten Juliglut der Straßen. Wohl wurde ihre Rinde abgescheuert von den Schultern Vorübergehender, aber all dieses Äußerliche konnte den Kern ihres Wesens nicht streifen. Ihre trübe in die Luft gesteckten Zweige waren voll Vorbehalt wie an jenem ersten Tage, da sie aus den Baumschulen hierherkamen. Mochten unter ihren breiten Zweigen die rasselnden Züge der elektrischen Bahnen brausen, mochten sich beim Dunklerwerden
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