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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman
Autoren: Hans Fallada
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mache?«
    »Um Gottes willen! Lass es so, was soll wohl aus deiner Mathematikarbeit werden? Ich habe schon Kai auf dem Hals.«
    Kai fuhr hoch, sah Arne an. »Ich verlasse mich auf dich.«
    »Darfst du, darfst du, um ein halb zwölf stecke ich dir die Resultate zu.«
    Entschuldigend sagte Kai: »Es ist zu dumm, dass ich in Mathematik so minderbegabt bin, aber ich kann mir die größte Mühe geben, ich kapiere nichts. Und noch eine Fünf geht wegen der Versetzung nicht.«
    »Ich helfe dir ja schon«, wiederholte Arne. Eine Weile schwiegen sie, dann fragte Arne wieder: »Sag einmal, Klotzsch, wer steht eigentlich mit Fräulein Lorenz besser, du oder Lehmann?«
    »Nun ich, selbstverständlich.«
    »Ich finde das gar nicht so selbstverständlich.«
    »Nun, ich bin doch oft mit ihr im Wandervogel zusammen. Wir nennen uns doch auch du und so.«
    Arne warf auf Kai einen Blick, aber der schwieg, und so sagte denn Arne mit viel Bedeutung: »Bist du nun eigentlich auch schon im Wandervogel, Kai?«
    Kai fuhr auf. »Ich? Wieso? Ach so, ja natürlich. Hast du mich nun endlich angemeldet, Klotzsch?«
    »Ich dich? Aber nein!«
    »Wie oft soll ich dich denn noch bitten?«
    »Du in den Wandervogel? Nie hast du auch nur ein Wort davon gesagt! Nur geschimpft hast du drauf.«
    Arne griff ein. »Ich selber bin dabei gewesen, wie dich Kai auf dem Hof darum bat.«
    Klotzsch sah zweifelnd von einem zum anderen. »Sollte ich das überhört haben?«
    »Aber natürlich.«
    Kai fragte: »Willst du es nun erledigen oder nicht?«
    »Ja, aber gewiss doch. Nur verstehe ich nicht …«
    »Gott, ich will einmal sehen, was ihr treibt. Aber bald, ja?«
    »Selbstverständlich. Gleich morgen.«
    Dann zum Essen. Arne und Kai das Gesicht leicht gerötet vom Widerschein eines Triumphes, den sie verschwiegen und schlau über ihren Gefährten errungen hatten und der ihnen der Vorläufer weiterer Intrigen zu sein schien.

5
    Gleich am Eingang des Saals verlor Kai seine Freunde. Zu spät gekommen, hatten sie ihn sofort verlassen, um ihre Damen zu suchen. An eine Säule gelehnt sah Kai ihnen nach, verlor sie aus den Augen, und nun war nichts mehr da als die flatternden weißen und bunten Mullkleider der Mädchen. Eben begann der Klavierspieler einen Walzer, und wie sie dortam Arme ihrer Tänzer dahinflogen, schienen sie Kai fremde, rätselhafte Blumen, denen er nie nahkommen würde. Vergebens suchte er ihre Gesichter zu erraten, diese Gesichter aus Weiß, Rosa und Rot mit den immer anderen Strichen der Augenbrauen, er kam ihnen nicht näher. Sie schienen einer fremden Gattung anzugehören, die Nase schloss wie ein aufgesetztes Gewicht nicht zu entdeckende Heimlichkeiten in die Rundung des Kopfes ein. Kai fragte sich, ob auch diese wirklich »Menschen« seien, und irgendwie unruhig und bedrückt entschied er, dass sie in nichts den Bekannten und Freunden gleichgestellt werden könnten, sondern unverwandt wie Tiere oder Bäume seinen Blicken die undurchdringliche Starrheit ihres Andersseins entgegenhielten.
    Er seufzte, abwehrend tasteten seine Hände zur Höhe des Gesichtes empor, fielen herab, aber diese Bewegung schon brachte ihm Erleichterung, und nun suchte er Näheres unter den Tanzenden und fand Klotzsch. War das Ilse? Nein, sie war es nicht, irgendjemand anderes, etwas Stummes, das nicht zu ihm sprach mit einem matten Profil und einem seltsam unbewussten Schwingen der Hüften. Werner lächelte, lachte, redete, er gehörte dieser Stunde ganz, das Morgen dämmerte noch nicht auf, und das Soeben war abgetan. Kai drängte es, als müsste er sich von seiner Säule fortheben und zu Klotzsch tretend ihm alles sagen, alles, alle Demütigungen, die gewesen waren, die kommen würden.
    »Wie sie schwatzen und lachen! Sie wissen nicht mehr, dass ein Morgen da ist und vor dem Morgen eine Nacht, wach im Bett, zu heiß, zu heiß, trübe, gepeinigt, voll Scham. Was haben sie zu reden? Was ist da, worüber man lachend reden kann? Haben sie vergessen, dass es draußen friert, dunkel, grauenhaft, einsam ist?«
    Ja, es gab Straßen, angefüllt mit Menschen, aber ihre Bewegungenwaren fremder als die Äste der Bäume, und wenn sie lachten, klang es, dass man die Ohren verschließen, die Augen zupressen musste, um nicht zu weinen. Das war es. Man musste sie hassen, um ihrer Gedankenlosigkeit willen sie hassen, die so laut und fröhlich sein konnten. »Tiere! Tiere!«
    »Dort, Arne! Sieh da, seine Dame! Sicher ist das Fräulein Reiser, bestimmt. Oh, sie plaudern. Wie ruhig, wie
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