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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman
Autoren: Hans Fallada
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verbindlich, wie erhaben lächelnd! Arne, du, wie kannst du so lächeln! Du dort oben und ich. Ach, auch er ist mir weggenommen, ich stehe hier allein an meiner Säule. Ich will ihnen nachsehen, ihn immer ansehen, er soll mich nicht vergessen, soll zu mir herüberschauen. Ich will es. Ich will es. Vorbei. Gleich kommt er wieder. Ich will es. Nein, auch dieses Mal nichts, ihr seid alle fort, alle fort. Soll ich gehen, soll ich kehrtmachen und gehen? Ich hasse euch! Hasse euch alle! Wie die Mütter schwatzen! Was stecken sie die Köpfe zusammen und machen sich über die Ungeschickten lustig! Ich hasse euch alle, alle! Ich möchte ausspucken vor euch.«
    Kai drehte sich um und trat hinter die Säule. Ein großer Spiegel warf ihm mit der Geste eines überlegenen Taschenspielers sein Bild entgegen. Er blieb stehen. Ja, er war ordentlich angezogen, nur der Schlips saß schief. Und während er ihn zurechtzog, prüften seine Blicke das Gesicht. Es war nichts darin von dem, was er dachte. Es war blass wie immer. Der Mund mit den Wulstlippen sah fremd aus. Die Augen hinter den Gläsern waren matt wie stets. Er konnte ruhig mit einem solchen Gesicht hingehen und die Ilse dem Klotzsch ausspannen. »Natürlich muss ich etwas Verbindliches sagen. Was sagt man in solchen Lagen nur? Etwas Geistreiches, es wird sich schon finden, bestimmt. Es wird sich nicht finden. Ach, alles ist gleich. Wozu sich Mühe geben? Mag sie mit ihrem Klotzsch glücklich werden und ihn küssen.«
    In plötzlicher Wut schrie er sich ins Gesicht: »Knutscht euch ab, ihr Schweine!«
    Und mit einem raschen Blick in den Spiegel fragte er sich, ob diese Lippen würden küssen können. Er versuchte es. Er dachte an jene Küsse, die er seinen Eltern vor dem Schlafengehen gab, und formte nach ihnen seinen Mund. Es war lächerlich. Das götzenartig unbewegt gebliebene Gesicht verhöhnte sein Bemühen. Unter einer tiefen Entmutigung seinem Bilde näher tretend, formte er kaum getrennt von jenen Lippen, die den Widerschein der seinen bedeuten sollten, leise und gehauchte Worte, deren heißerer Atem seine Seele zu verbrühen schien: »Mund, du dort. Gesicht, du da. Ihr seid nicht mein, ihr gehört mir nicht, ich verleugne euch. So wie euere Unbeweglichkeit und rätselhafte Verfärbung meine Gedanken zu Lügen machen möchten, so leugne ich auch euch ab. Ihr seid unwahr. Ich darf nicht sagen, was ich fühle.«
    Der Mund schloss sich. Nachströmender Atem trennte noch einmal die Lippen, deren trockene und glatte Haut aneinanderhaften zu wollen schien. Kai wandte sich ab. Plötzlich bemerkte er, dass die rhythmisch gehämmerten Walzertöne die ganze Zeit hindurch in seinem Ohr geklungen hatten, aufhorchend fühlte er sie nun wie entspannende Kraftlosigkeit den Rücken hinabrieseln und prickelnd sich in die Hüften verzweigen. Sein im Saale suchender Blick leuchtete auf.
    »Mein Gott, nein, dort sitzt die Ilse Lorenz. Wie blass sie ist! Ob sie nie rötere Backen hat? Wie fremd! Ob man sie lieben könnte? Wie ist das, ihr nah zu sein?
    Der Tanz ist zu Ende gegangen. Die Herren führen die Damen zu ihren Stühlen. Es wird plötzlich ganz laut. Die Fächer flattern. Wie lauter Tauben. Ich glaube, ich muss jetzt zu Arne gehen. Nein, ich kann nicht. Ich will hier allein an meinerSäule bleiben. Hier verlassen, genieße ich das Fest. Jahre später werde ich in diesen Sekunden glücklich gewesen sein. – Wo steht denn Arne überhaupt? Ah dort, er spricht mit Fräulein Reiser. Nun winkt er mir. Nein, ich habe das Winken nicht gesehen. Wie glatt das Parkett ist! Sicher falle ich. Wenn ich doch zu Haus wäre, in meinem dunklen Zimmer. Es ist Wahnsinn, hier zu sein. Was lachen die beiden alten Weiber? Sie lachen über mich. Natürlich! Oh, ich wollte … Was soll ich nur sagen, was soll ich in aller Welt den beiden Mädels nur sagen, ich habe nicht ein Wort zu reden.«
    »Mein Freund Kai Goedeschal – Fräulein Irene Reiser, Fräulein Ilse Lorenz. Nun, hat dir unsere Tanzerei gefallen?«
    »O ja, sehr.«
    Fräulein Reiser wandte ihre stillen Augen Kai zu und fragte: »Wird es Ihnen nicht schwer, Herr Goedeschal, so ganz zuzuschauen, während wir andern tanzen?«
    »Nun ja, eigentlich nicht so sehr.«
    »Du schwindelst ja, Kai.«
    Und Klotzsch, der neben Ilse stand, rief: »Natürlich schwindelt er, brennend gern möchte er mittanzen.«
    Kai stieß hervor, erzürnt und geschwächt, sich so in die Enge getrieben zu sehen: »Nun, du bist wohl nicht der Richtige, das zu
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