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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman
Autoren: Hans Fallada
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da, und schon im Weinen seltsam erleichtert, denkt er: Es ist wieder da!
    Kai Goedeschal fuhr hoch. »Kann ich nie vergessen? Ich will nichts mehr von jenem Berliner Kai wissen. Warum schmerzt das noch so frisch? Nein, ich würde heut nicht mehr weinen. Vielleicht anders, anders und doch das Gleiche.«
    In ruhelosem Auf und Nieder suchte er vergebens die Quelle zu finden, aus der diese Gedanken strömten. Brennend wie einst glühten die Augen, verzweifelnd wie früher floh er die Spottreden der andern, die seine geflickten Hosenverachteten. Der gefüllte Schulhof, die Glocke inmitten, – kein Fleck, wo Ruhe war. Aus den Gängen durch den Zuruf des Lehrers verjagt, stand er wieder draußen, zitternd, bemerkt zu werden, schon bemerkt, schon verhöhnt.
    Er riss sich herum. Dem Spiegel näher tretend, ging er in seinem Gesicht jener Spur nach, die ihn zum noch nicht Vergessenen geführt hatte. Er fand sie nicht, er fand nicht den schmerzlichen Widerspruch, der zwischen der Erblühtheit eines fleischigen Mundes und dem trübe Farblosen stets fliehender Augen bestand. Er zuckte die Achseln.
    »Wozu noch daran denken! Ich will nicht. Dort die Bäume. Straßen. Menschen. Fenster. So vieles andere zu bedenken.«
    Sein Blick erfasste das Heft. »Ja so, der Aufsatz.« Er blätterte. Aber nun, da er diese Zeilen las, die schon durch ihre Farbe strafenden, roten Randbemerkungen des Lehrers überflog, schien all dies bereits verstaubt, lang vorbei. »Immerhin habe ich die Eins. Wieder einmal der Beste. Man kommt voran.«

2
    Es klopfte. Arne Schütt trat herein, groß, ausgewachsen, massig geformt, und ging zum Langstuhl, in den er sich warf. Dann, während er eine Zigarette anbrannte: »Servus, Kai. Was machst du?«
    »Sieh da, Arne. Ich simuliere, wie unser gemeinschaftlicher Freund Biedermann sagen würde, über die Unzulänglichkeit des Lebens.«
    »Und?« Da Kai schwieg: »Wieso? Warum? Weshalb?«
    »Ach nichts, ich habe mich über Tappert geärgert.«
    »Nanu? Er lobte dich über den grünen Klee.«
    »Das ist’s ja grade. Du hast natürlich wie immer nicht aufgepasst.«
    »Bitte. Bitte.« Arne warf sein Gesicht vor, bewegte die Hände salbungsvoll durch die Luft und imitierte verzerrt und faul: »Eine wackere Leistung, Goedeschal. Trefflich nachempfunden. Was denn?«
    »Du hast es gehört und fragst, warum ich mich ärgere?«
    »Hauptsache ist die Eins.«
    »Die Eins ist belanglos, wenigstens für mich. Den Eltern, Paukern und so weiter ist sie natürlich die Hauptsache. Aber –« Kai blieb am Fenster stehen, trommelte gegen die Scheiben und überlegte, während er auf den von einem Schneeschauer überpeitschten Schmuckplatz sah, ob er nicht doch lieber schweigen sollte. Aber die Lust zu sprechen war größer als die kleine, im Hintergrund liegende Hemmung. »Ich sagte vorhin: Unzulänglichkeit des Daseins, im Scherz. Nun wiederhole ich es ernsthaft.«
    »Was hat das mit deinem Aufsatz zu tun?«
    »Du wirst hören.« Kai schwieg. Er dachte nach, vieles drängte. Um den Worten mehr Gewicht zu geben, bildete er – unbewusst – am Munde zwei Falten, die er dann doch gleich als romanhaft markant ärgerlich mit der flachen Hand fortstrich. Er spürte auf den Lippen einen tauben Reiz und sagte nun hastig: »Hast du’s nicht schon gefühlt, morgens beim Aufstehen, dass alles so trostlos grau war? Schule, Schule, nicht abzusehen, immer Schule, Arbeiten, Pauker, dann die Eltern, nichts, nichts. Alles war schon da, alles so alt, so reizlos. Du besinnst dich, du überlegst, was zu hoffen sei, was Neues. Du findest nichts. Am Ende scheint es dir so sinnlos, dich überhaupt anzuziehen, wozu? Lebst du denn? Was ist das? Eine Maschine, die rattert. Immer den gleichen Gang. Du fasst die Stühle an, siehst dich im Spiegel – alles war schonda, wird so immer da sein. Und während du dann am Fenster stehst, überkommt es dich plötzlich. Deine Handgelenke brennen. Von oben möchtest du sie in das spitze, splitternde Glas hineinschlagen, in die Pulsadern, so, so – nur damit du fühlst, am roten Strömen deines Blutes fühlst: du lebst, lebst, lebst.«
    Arne machte eine Bewegung, Kai rief hastig: »Nein, jetzt nicht!« Er ging schnell auf und ab; dann ruhiger: »Mehr: oder dann, abends, im Einschlafen, wenn ich träume, ist es, als ob ein Schleier fällt und noch einer und wieder einer. Ich stehe auf den Zehen, dränge mich an die Luft, schmiege mich in sie hinein, näher, näher, ich zittere. In den Fingerspitzen bebt schon die
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