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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte
Autoren: Luca Di Fulvio
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sagte er zu sich selbst.
    Er lugte hinter dem Busch hervor. Mehrere Männer in dunklen Anzügen standen schwatzend und rauchend auf dem Rasen. Sie bedrängten ein Dienstmädchen. Bill wusste, wer sie waren: die Leibwächter eines beschissenen Senators. Arschlöcher. Sie standen mindestens zwanzig Schritte von dem schwarzen Wagen entfernt. Einer hatte seine Jacke ausgezogen. Bill konnte eine Pistole im Holster stecken sehen. Niemand sonst könnte es schaffen, nur er, Bill. Er war unbesiegbar. Zwanzig Schritte Vorsprung hatte er vor diesen armseligen Idioten.
    Im Schutz der dicht an dicht stehenden Autos robbte Bill durch das Kiesbett der Allee. So gelangte er zu dem Wagen des Senators, dem letzten in der Reihe. Er öffnete leise die Tür. Geduckt kroch er hinein. Er brauchte nur den Motor zu starten und den Rückwärtsgang einzulegen. Diese armseligen Idioten konnten auf keinen Fall schnell genug da sein, um ihn aufzuhalten.
    Die Hand schon am Zündschlüssel, setzte er sich auf. Da hielt er inne.
    Ruth kam über die Allee auf ihn zu. Sie sah in seine Richtung.
    In dem Moment erst wurde Bill bewusst, dass er sie an dem Abend nicht ein einziges Mal in Gedanken eine Hure genannt hatte. Wieso er daran denken musste, wusste er nicht. Er wusste nur, irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Da spürte er eine Art Kribbeln in der Brust. Und daraus wurde ein Gefühl.
    Ruth ging die Allee entlang. Jetzt war sie schon recht nah. Ihr Kleid war smaragdgrün. Wie der Ring, den Bill ihr samt dem Finger abgeschnitten hatte. Wie ihre Augen. Sie lächelte. Sie war bezaubernd. Die schönste Frau, die Bill je gesehen hatte.
    Das Mädchen, das ihn um den Verstand gebracht hatte.
    Reglos lagen seine Finger auf dem Zündschlüssel.
    Bill spürte, wie das Gefühl in jeden Winkel seines Körpers drang. Die Zeit blieb stehen. Und plötzlich hatte er keine Angst mehr. Er hätte aus dem Auto steigen und Ruth entgegengehen können. Er hätte noch einmal ganz von vorn beginnen können.
    Das Gefühl sagte es ihm.
    Du bist wunderschön, Ruth, dachte er.
    Und mit dem verzehrenden Gefühl im Herzen drehte er den Zündschlüssel um.
    Den Lärm hörte er nicht mehr, bloß eine unnatürliche Stille, die dem Lärm vorausging. Und dann fraß die Hitze ihn bei lebendigem Leib auf.
    Als der Wagen explodierte, wurde Ruth von der Druckwelle zu Boden geworfen. Der Lärm der explodierenden Bombe und des zerberstenden Bleches machten sie beinahe taub.
    Während Clarence ihr wieder aufhalf, sah Ruth die Leibwächter mit vorgehaltener Pistole umherlaufen. Und die Hausdiener schrien und gestikulierten wild. Die Gäste strömten aus der Villa ins Freie, ihre aufgeregten Stimmen erfüllten die Nacht. Kurz darauf erklangen am Sunset Boulevard die Sirenen der Polizeiautos.
    »Wo ist der Senator?«, schrie ein Polizist.
    »Der Senator lebt«, antwortete einer der Leibwächter.
    »Fahrt einen Wagen vor!«, befahl der Polizeicaptain.
    Die anderen beiden Leibwächter rannten hinüber zur Villa. Sie nahmen den Senator und seine Gattin in ihre Mitte und geleiteten sie zum Tor. Dort halfen sie ihnen in den Polizeiwagen, der sich kurz darauf mit heulenden Sirenen in Bewegung setzte.
    Sämtliche Scheiben der schwarzen Limousine waren zersprungen, die Türen aus den Angeln gerissen. Noch immer verbogen sich die Bleche. Die Hitze war unerträglich.
    »Das ist schon das dritte Attentat«, sagte jemand.
    »Ist wohl besser, man lädt ihn nicht mehr ein«, scherzte ein anderer.
    Die Gäste in Abendgarderobe standen dicht gedrängt auf der Allee. Die Blitzlichter der Fotografen erhellten die Nacht wie wild gewordene Glühwürmchen. Ekelerregende Rauchwolken hingen in der Luft, es stank nach Benzin und Öl, nach geschmolzenem Metall und Leder.
    Dann erlosch das Feuer von allein. Urplötzlich, als hätte jemand einen riesengroßen, unsichtbaren Eimer Wasser ausgeschüttet. Nur da und dort züngelten noch ein paar schwache Flammen.
    Ruth trat einen Schritt auf den verbogenen Wagen zu.
    Bills verkohlter Körper hielt sich noch immer am Steuer aufrecht, der versengte Kopf lag im Nacken.
    »Seien Sie vorsichtig, Miss«, warnte einer der Polizisten sie.
    »Ich musste nachsehen«, murmelte Ruth.
    »Kannten Sie den Mann?«, wollte der Polizist wissen.
    Ich war doch schon frei, dachte Ruth.
    »Miss, kannten Sie den Mann?«
    Ruth sah den Polizisten ausdruckslos an. »Nein«, antwortete sie. Dann wandte sie sich von Bill ab.

69
    Manhattan, 1928
    Nachdem Christmas das Wort Ende unter seine Komödie
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