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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte
Autoren: Luca Di Fulvio
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gesetzt hatte, hatte er sich ganz leer gefühlt. Allein und verloren.
    Das Schreiben hatte ihn völlig in Anspruch genommen. Er war gleichsam in eine Fantasiewelt abgetaucht und hatte darüber sein wirkliches Leben vergessen. Voller Eifer hatte er sich auf die Tasten gestürzt, all das durchlebt, wovon er schrieb, als wäre er selbst mittendrin, bei seinen Figuren. Freundschaft, den Kampf ums Emporkommen oder schlicht ums Überleben, die Existenzen der Lower East Side. Und der Traum von der Liebe. Die Welt, wie sie sein sollte. Vollkommen und sinnhaft auch im Schmerz, in der Tragödie. Danach hatte er gestrebt: Er hatte dem Leben einen Sinn verleihen und es weniger zufällig machen wollen. Denn die Vollkommenheit bestand nicht darin, Erfolg zu haben, etwas zu schaffen oder einen Traum wahr zu machen, sondern in der Sinnhaftigkeit. So hatten in seiner Geschichte auch die Bösen ihren Sinn gefunden. Und jedes Leben war mit den anderen verwoben wie die Fäden eines Spinnennetzes, die sich alle miteinander zu einem übergeordneten Ganzen verbanden. Er wollte ein reales Bild zeichnen, kein abstraktes. Ohne falsches Pathos sollte es sein, ironisch. Gefühlvoll.
    Und nun?, hatte er sich gefragt, nachdem er das Wort Ende unter seine Komödie gesetzt hatte.
    Mit einem Mal hatte er den Blick gehoben. Dort war die Bank, er konnte sie sehen. Und es ergab keinen Sinn, dass Ruth und er nicht auf dieser Bank saßen. In seiner Komödie wäre das nicht passiert. In seiner Komödie hätte er niemals all diese Liebe vergeudet.
    Christmas legte die letzte Seite zu den anderen auf den Stapel. Dann steckte er die Komödie in einen Briefumschlag, auf dem er bereits einen Namen und eine Adresse vermerkt hatte, und gab Neil, dem Portier des Apartmenthauses am Central Park West, den Auftrag, ihn zuzustellen.
    Und tatsächlich, schneller als erwartet erhielt Christmas eine Antwort. Keine zwei Wochen später bestellte ihn der alte Impresario Eugene Fontaine, ein begeisterter Hörer von Diamond Dogs , in sein Büro am Broadway.
    »Seit vierzig Jahren bin ich in diesem Beruf und weiß einzuschätzen, ob eine Komödie funktioniert«, sagte Eugene Fontaine und klopfte mit seiner runzligen Hand auf den Deckel des Manuskriptes. Er sah Christmas an. »Es geht um Gangster. Es geht um Liebe ... das ist New York.«
    »Ist es gut?«, fragte Christmas und kam sich töricht wie ein kleiner Junge vor.
    »Es ist brillant.«
    »Wirklich?«
    »Halt dich gut fest, Christmas Luminita. Es wird rundgehen wie bei einem Wirbelsturm«, sagte der Impresario. »Gib mir ein wenig Zeit für die Inszenierung. Danach wird Amerika nur noch von uns reden.«
    Und nun waren es noch zwei Wochen bis zur Premiere. Es gab keine Zeitung, die nicht darüber berichtete. Andauernd bat man Christmas um ein Interview. Vanity Fair war bereit, ihm ein Titelblatt zu widmen. Aus Los Angeles erreichte ihn ein Telegramm von Louis B. Mayer:
    Du solltest mir einen Anteil zahlen. Stop. Schließlich habe ich Dich zum Schreiben gebracht. Stop. Viel Glück. Stop. Solltest Du feststellen, dass die Luft im Theater zu muffig ist, und in Kalifornien durchatmen wollen, erwarte ich Dich mit offenen Armen. Stop.
    L. B.
    Die Spannung war beinahe greifbar. Noch war das Stück nicht uraufgeführt, doch es war bereits in aller Munde.
    Christmas stand auf und lehnte sich aus dem Fenster. Er betrachtete die leere Bank, die dunkel mitten aus der weißen Schneedecke, die den Central Park überzog, hervorstach. Auch die Straßen waren verschneit. Die Menschen waren darauf bedacht, nicht auszurutschen, während sie vorübereilten. Männer und Frauen trugen mit Schleifen geschmückte Pakete in der Hand. Christmas fühlte, wie eine leichte Wehmut ihn umfing. Ihn fröstelte, und so schloss er das Fenster. Dann drehte er sich um. Seine Wohnung war noch immer nicht möbliert. Kein Schrank, kein Sofa, kein Teppich. Er lächelte. »Echt schrecklich, die Wohnung«, hatte Sal gesagt, als er tags zuvor vorbeigekommen war, um ihn für den Silvesterabend zum Essen einzuladen, und sich umgesehen hatte.
    Christmas ging ins Schlafzimmer und betrachtete den braunen Anzug, den seine Mutter ihm vor zwei Jahren gekauft hatte, ein Anzug, wie ihn arme Leute trugen. Arme Leute mit Würde. Es war der Anzug, der ihn von der Straße geholt hatte. Auch der Protagonist in seiner Komödie besaß einen braunen Anzug, ärmlich, doch würdevoll. Christmas hatte ihn nicht weggeworfen. Hin und wieder holte er ihn hervor, betrachtete ihn,
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