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Der Jüngstre Tag

Der Jüngstre Tag

Titel: Der Jüngstre Tag
Autoren: Michael Green
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erhellten Gestalten hinterher. Sie hielten noch immer die Pistolen in den Händen und zerrten die schreiende Mary-Claire über den Lawn Court und durch den Torbogen unter dem Cromwell Tower.
    Nigels Sicherheitsvorkehrungen waren getroffen.
    Das Gerücht, dass Mary-Claire entführt worden war, breitete sich wie ein Lauffeuer in den winzigen Räumen auf der Südseite des Lawn Court aus. Kurz nachdem Cheryl die anderen Kinder beruhigt und oben ins Bett gelegt hatte, gingen die älteren Mitglieder der Gemeinschaft durch die gewundenen Gänge, die sich wie ein Labyrinth durch die alten Gebäude schlängelten, um sich in Pauls Quartier zu versammeln.
    »Was sollen wir jetzt tun?«, stotterte der niedergeschlagene Paul, nachdem er seinen Verwandten erzählt hatte, was passiert war. Seine Augen schienen nun noch tiefer in den Höhlen seines schmalen, abgespannten Gesichtes zu liegen.
    Duncan Steed ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Das weiß nur Gott allein«, sagte er und strich mit den Fingern durch seine zerzauste rote Mähne.
    »Irgendjemand muss mit Nigel sprechen«, sagte Jennifer entschieden. »So kann es nicht weitergehen.«
    »Wir müssen einen Sprecher bestimmen«, schlug Susan Morgan vor. Im Gegensatz zu ihrer Cousine Jennifer hatte Susan ihr Lächeln sowie ihre Körperfülle während der Gefangenschaft in Haver verloren.
    »Ich finde, Diana sollte unsere Sprecherin sein«, schlug Jennifer vor.
    Diana Morgan war zweifellos die beste Wahl, denn sie verfügte noch immer über das selbstsichere Auftreten der Top-Anwältin, die sie einst gewesen war. Sie hatte markante Gesichtszüge und einen scharfen Verstand und besaß als Einzige die notwendige Intelligenz, um es gegen Nigel und seine Söhne aufzunehmen.
    Doch Diana schüttelte den Kopf.
    »Komm«, drängte Duncan sie.
    Diana nahm an, dass es Duncan in erster Linie darum ging, die Aufgabe nicht selbst übernehmen zu müssen. Sie schüttelte erneut den Kopf. »Nigel ist ein chauvinistisches Schwein. Er wird wohl kaum mit einer Frau verhandeln.«
    Susan nickte. »Leider muss ich ihr zustimmen. Duncan oder Paul müssen es machen.«
    Pauls nervöses Zucken verstärkte sich. Jeder wusste, dass er es nicht gegen Nigel aufnehmen konnte. Die Blicke der Frauen richteten sich auf Duncan.
    Es herrschte eine Weile Schweigen. »Okay, ich mache es«, sagte er schließlich. »Aber ihr wisst, wie Nigel ist. Auf mich wird er auch nicht hören.«
    Aus Angst, die Chatfield-Brüder könnten zurückkehren, löschten sie die einzige Kerze und planten noch zwei Stunden im Dunkeln flüsternd ihre Strategie. Diana hatte die Aufgabe der Sprecherin der Gruppe abgelehnt und war noch in tiefer Trauer über den Tod ihrer Tochter, doch sie bemühte sich sehr, Duncans Selbstvertrauen zu stärken, und machte ihm viele Vorschläge, wie er Nigel gegenübertreten sollte. Zwar kochte sie innerlich vor Wut und sann auf Rache, aber dennoch warnte sie ihn davor, das Massaker überhaupt zu erwähnen. Ihre Jahre als Rechtsanwältin hatten sie gelehrt, dass es sich mitunter auszahlte, seine Zunge im Zaum zu halten und auf den richtigen Augenblick zu warten.
    Am nächsten Morgen um zehn vor sechs traten aus den Häusern rings um den Lawn Court mehrere düstere, schweigende Gestalten. Die wenigsten hatten schlafen können. Alle trugen dieselben tristen, grauen Jacken. Der einzige Unterschied zwischen den verschiedenen Familiengruppen waren die Hüte. Rote Augen und blasse, abgespannte Gesichter, wohin man sah. Als sie den Rosengarten passierten, begannen viele zu weinen und weinten weiter, als sie an der Venusstatue vorbeikamen nahe bei Tante Margarets Grab.
    Sie durchquerten den mittleren Torbogen unter dem prächtigen Cromwell Tower und betraten den Flag Court dahinter. Vorsichtig wichen sie den Blutflecken auf den Steinplatten aus, wo Damians Axt am Tag zuvor auf Tante Margarets Nacken niedergesaust war. Dann betraten sie durch den Eingang auf der anderen Seite des Hofes den großen mit Eichenholz getäfelten Saal.
    Bisher waren zwei fünfzehn Meter lange Holztische erforderlich gewesen, damit Nigels Untertanen zu den Mahlzeiten Platz fanden. Nach Marks Flucht mit zehn Verwandten und dem Massaker der Chatfield-Brüder sollten die verbleibenden Mitglieder der Gemeinschaft an einem einzigen Tisch in der Nähe des gemauerten Kamins sitzen, wie es Damian befohlen hatte.
    Als die Familien den Raum betraten, führte Diana sie zu ihren neuen Plätzen. Wie immer bewegte sie sich ruckartig und kraftvoll, als
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