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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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werden.« Jintao lächelte und stellte die Deckeltasse ab. »Wenn er alles befolgt, was ich ihm gesagt habe, ist er in vier Wochen gesund wie seine Wasserbüffel.«
    Er wollte sich gerade seine faltige Gummimaske vom Gesicht ziehen, als vom Tempel her der Ton einer Bambustrompete erklang.
    Deng Jintao zog die Maske wieder über sein Gesicht. »Setz die Perücke wieder auf, mein kristallener Stern«, sagte er. »Der Bus aus Dali kommt. Setz neuen Tee an. Bitten wir Gott, daß keiner unter den Kranken ist, der operiert werden muß.«
    Er ging zurück in sein Zimmer, blickte einen großen Schrank aus Kiefernholz an, hinter dessen Türen sich alle Instrumente, die ein Chirurg braucht, stapelten, und schüttelte den Kopf.
    Wenn er diesen Schrank einmal öffnen mußte, um einem Schwerkranken zu helfen, konnte er sich ausrechnen, wie lang dessen Leben noch dauerte.

II: Die Familie Huang
    Sechs Jahre war Huang Lida alt, als Rotgardisten, begleitet von dem politischen Kommissar Chang Lifu, auf zwei Lastwagen in ihr Dorf Huili einfuhren und gleich am ersten Haus den Bauern Liang Taiping mit großen Steinen bewarfen und seinen Kopf trafen, so daß er hinfiel, gegen die Lehmmauer seines Hauses rollte und für einige Zeit das Geschehen nicht mehr verfolgen konnte. Lida stand an der Treppe, die in einen steinigen Hügel hineingeschlagen war, auf dessen Höhe das Schulhaus errichtet worden war und etwas weiter hinten das kleine Haus des Lehrers Huang Keli; es war von einem Gärtchen umgeben, in dem vor allem Kräuter und Ingwerwurzeln wuchsen und sogar ein schmales Beet mit Blumen – ein Luxus, den sich der Lehrer gönnte, denn Blumen kann man nicht essen, und jede Krume Erde ist dazu da, Mensch und Tier nicht hungern zu lassen.
    Die Rotgardisten, junge Burschen, keiner über zwanzig, sprangen von den Lastwagen, nachdem sie vor dem Haus der Kommune Huili angehalten hatten, traten die Tür auf, bevor ihnen von innen geöffnet wurde, zerrten alle, die sich gerade im Büro befanden, auf die Straße, umringten sie mit johlendem Geschrei und prügelten dann mit ihren Gewehrkolben auf die Wehrlosen ein. Der Aufschrei: »Genossen, was haben wir euch getan?« ging im Gebrüll der Rotgardisten und im Wehklagen der Geschlagenen unter.
    Lida setzte sich auf eine Stufe der Steintreppe; wenn sie auch nicht verstand, was vor ihren Augen geschah, so begriff sie doch, daß fremde Männer gekommen waren, um zu prügeln. Und sie sahen alle gleich aus: Sie trugen eine grüne Uniform, auf dem Kopf eine Ballonmütze, um den Arm eine rote Binde, auf der ›Rotgardist‹ stand, und vor der Brust hing ihnen ein weißer Leinenbeutel, in dem sie das Wertvollste verwahrten: Geld, eine Zahnbürste und das kleine rote Büchlein ›Worte des Vorsitzenden Mao Zedong‹. Ohne dieses Büchlein war man stumm, taub und blind – das neue Leben war ohne Maos Worte nicht zu begreifen.
    Chang Lifu, der Kommissar, ging in Begleitung von zehn Rotgardisten zu den steinernen Stufen und blickte zu Schul- und Lehrerhaus hinauf. Er sah natürlich auch Lida auf der Treppe sitzen und ihn mit großen, fragenden Kinderaugen anstarren. Sie rührte sich nicht, als sei sie das Kaninchen, das vom Blick der Schlange gelähmt ist.
    »Ist das euer Schulhaus?« rief Chang zu ihr hinauf.
    Sie nickte und wartete, bis der Trupp die Treppe hinaufgestürmt war und vor ihr anhielt.
    »Ist der Lehrer da?« fragte Chang. Seine Stimme war wie eine Peitsche.
    Lida zog den Kopf zwischen die Schultern und nickte wieder. Dann sagte sie voll Ehrfurcht, denn sie hatte gelernt, daß Höflichkeit im Leben so wichtig war wie Wasser und Reis: »Ja. Mein Vater ist da.«
    »Der Lehrer ist dein Vater?« fragte Chang.
    »Ja, Genosse, er ist es.«
    Daß ein so kleines, dürres Kind ihn mit ›Genosse‹ anredete, verblüffte Chang. Er beugte sich zu Lida hinunter, um sie zu fragen, ob ihr Vater der Familie und den Schülern viel von Mao und dem Kommunismus erzählt habe, aber das Mädchen zuckte zurück und kniff die Lippen zusammen. Changs Atem roch nach Schnaps.
    »Du stinkst!« sagte Lida laut, sprang auf und rannte so wieselschnell die Treppe hinauf, daß Changs Griff nach ihr nur noch die Luft erfaßte. Die jungen Rotgardisten um ihn herum grinsten ungehemmt. Kommissar Chang zu beleidigen bedeutete, seine Hand einer Viper entgegenzuhalten. Sie erinnerten sich noch gut an das Dorf Siyang, vor zehn Tagen war es, da hatte der Dorfälteste zu Chang gesagt: »Was willst du? Noch immer Kulturrevolution? Mao
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