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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Räucherstäbchen entzündet, die einen starken, betäubenden Duft verbreiteten und den Pavillon in eine Rauchwolke hüllten.
    Ling lag steif und abwartend auf der gelben Bank und spannte wieder die Muskeln an, als der alte Mönch aus seinem Zimmer kam. Er hatte eine kleine Glasplatte in der Hand und hielt sie Ling unter die Augen. Ein winziges, rötliches, faserartiges Gebilde lag auf dem Glas, nichts Aufregendes oder Geheimnisvolles. Ling wurde nur blaß, als Deng Jintao die Glasplatte zurückzog und ruhig sagte: »Das ist ein Stück deiner Magenschleimhaut. Ich habe es abgeknipst.«
    »Was … was haben Sie, Meister?« stotterte Ling ergriffen.
    »Ich habe mir deinen Magen von innen angeschaut.«
    »Sie haben … mit Ihren Augen … in mich hinein … als wenn ich Glas wäre …«
    »So ähnlich. Du hast mit deiner Krankheit viel zu lange gewartet – du hättest längst gesund sein können. Dein ganzer Magen ist rundum rot.«
    »Oh! Ich sterbe also doch, großer Meister?«
    »Natürlich. Aber noch nicht jetzt.« Deng Jintao setzte sich neben Ling auf die Bank und klopfte ihm auf den Magen. Es tat nicht weh, was Ling schon wie ein Wunder vorkam. »Hör zu, was ich dir sage: Es gibt keinen Schnaps mehr – «
    »Meister, ich werde jede Flasche in den Bach werfen.«
    »Keinen anderen Wein als den Reiswein. Er beseitigt die innere Kälte, beschleunigt die Blutzirkulation, hilft zur Entspannung der Sehnen und stärkt Milz und Magen. Aber nie mehr ein Bier, Ling, bis ich es wieder erlaube.«
    »Kein Bier, Meister?«
    »Nicht einen Tropfen! Willst du, daß dein Magen wie ein Sieb wird, voller Löcher, aus denen Gift in deinen Körper sickert?« Deng Jintao holte aus einer ledernen Tasche, die er am Gürtel trug, eine durchsichtige Tüte mit runden gelben Pillen. »Diese Pillen nimmst du jeden Tag dreimal vor dem Essen. Dreimal – vergiß das nicht.«
    »Es ist unmöglich, Meister. Ich esse nur zweimal am Tag. Morgens und abends …«
    »Und am Mittag …«
    »Da habe ich Bier getrunken.« Ling war sehr verlegen, aber einen Heiligen wie Deng Jintao konnte man nicht anlügen.
    »Statt Bier zu trinken, ißt du jetzt jeden Mittag heißes Porreegemüse. Ohne Salz, ohne Pfeffer, ohne alle Gewürze.«
    »Ich sehe, ich habe eine böse Krankheit«, seufzte Ling. »Junpei, Stiller Herbstsee, wie gut konntest du kochen …«
    »Junpei darf alles essen. Alles, was du nicht darfst. Für sie gilt kein Gebot. Sie muß sogar mehr essen, alles, was sie will, und nicht mehr, was nur du wolltest.«
    »Sie darf alles?« Ling richtete sich auf und sah Junpei mit blinkenden Augen an. Sofort schlug sie den Blick nieder, und das Lächeln um ihre Lippen wurde wieder zu einer harten Falte. »Warum ist das Leben so ungerecht? Im Reisfeld ackert der Büffel und bekommt Hiebe, und nebenan watscheln die Enten und schnattern ihr Lied. Sie arbeiten nicht und dürfen auch alles fressen.«
    »Um später, wenn ihr Fleisch fest ist, von dir gefressen zu werden. Willst du deine Frau fressen? Nein, sie soll an deiner Seite leben, und darum muß sie anders essen als du.« Deng Jintao erhob sich von der Bank. »Jetzt bete vor dem Pavillon – wenn der Gott gnädig ist, hat er mich deine Krankheit richtig erkennen lassen.«
    Ling und Junpei beteten vor dem kleinen, von Duftwolken umhüllten Jade-Pavillon und standen eine halbe Stunde später wieder auf dem steinigen Weg, der sich nach vierzig Metern teilte, hinunter zum Parkplatz oder hinauf zum Tempel. Als hätte er sich die ganze Zeit nicht gerührt, stand Chen Xue noch auf der gleichen Stelle, am Rand der letzten Steinstufe.
    Hand in Hand stiegen Ling und Junpei die Treppe hinunter zu ihrem dreirädrigen Kleintraktor mit dem flachen Anhänger. Den Sack mit den Geschenken hatten sie stillschweigend im Innengarten gelassen; es wäre unhöflich gewesen, darauf hinzuweisen. Einen Meister bezahlt man nicht, man beschenkt ihn.
    Im Innenhof des Wohngebäudes streifte Hao Peihui, die Greisin ohne Alter, die weiße, langhaarige, zottelige Perücke ab und blies die Räucherstäbchen aus. Deng Jintao trank zunächst eine Tasse ungemischten grünen Tees.
    »Was war es denn für eine Krankheit?« fragte Peihui und putzte etwas Ruß von den Jadesäulen des kleinen Pavillons. »Du hast ihm große Angst gemacht.«
    »Sonst würde er nicht gehorchen. Was er hat? Eine bilderbuchmäßige Gastritis mit einer Säureüberproduktion. Das führt automatisch zu einer Schleimhautatrophie. Für einen alten Mann kann das gefährlich
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