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Der Infekt

Der Infekt

Titel: Der Infekt
Autoren: Uwe A. O. Heinlein
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wurde vom Brüllen des Gegenschubs beantwortet, mit dem die vier Rolls-Royce-Triebwerke das vollbesetzte Flugzeug abbremsten.
    Idwood Green warf einen Blick auf sein Handgelenk. 17.20 Uhr. Das kann heute ja noch ein langer Abend werden, dachte er und sah Angela MacRae zu, die ihre Reisetasche aus dem Gepäckfach holte. Die Ärmste sah ziemlich angeschlagen aus. Kein Wunder, dachte der Engländer, wenn man den toten Bruder im Sarg abholen muß. Er stand auf und nahm Angela die Tasche ab. Dann machten sie sich auf den langen Weg durch die Katakomben des Terminals. Erstaunlicherweise passierten sie den Zoll und die Einreisekontrolle innerhalb einer halben Stunde; eine schier unglaublich kurze Zeit für die New Yorker Formalitätenprozedur.
    »Also«, meinte Green, »wir könnten jetzt mit dem Taxi nach Manhattan zur Grand Central Station und von dort aus mit der Metropolitan Rail nach New Haven fahren. Aus touristischer Sicht wäre dies sehr reizvoll. Du könntest während der Taxifahrt die Skyline von Manhattan bewundern und während der Bahnfahrt einen Blick auf Harlem und die Bronx werfen. Die zweite Möglichkeit besteht darin, hier direkt vor dem Gebäude einen Kleinbus der Connecticut Limousine Services zu besteigen. Auch eine nette Fahrt, dauert aber relativ lange, weil die Busse auf dem Weg nach New Haven mehrmals halten. Die dritte und letzte Möglichkeit: Wir kaufen uns ein Flugticket. Auf diesen Kurzstreckenflügen werden mehrsitzige Propellermaschinen eingesetzt. Mehr oder weniger aufregend, das Ganze. Man hat zudem eine schöne Sicht auf Long Island. Also, was möchtest du machen?«
    Angela MacRae antwortete ohne Zögern. »Fliegen. Auf touristische Aspekte kann ich im Moment gut verzichten.«
    Green lächelte wie ein Reiseleiter vom Club Méditerranée. »Der Flug wird Ihnen gefallen, Gnädigste. Und runter kommen Sie immer!« Er ergriff Angelas Hand und zog sie hinter sich her, bis er den Informationsschalter einer Fluggesellschaft erspähte, die den vertrauenerweckenden Namen New Air trug. Fünfundneunzig Minuten später schraubte sich das zwölfsitzige Propellerflugzeug mit dröhnenden Motoren in den New Yorker Abendhimmel und landete nach weiteren fünfzig Minuten auf dem kleinen Flugplatz von New Haven, Connecticut.
    Die Uhr im Foyer des Park Plaza Hotels zeigte 20.45, als Angela MacRae und Idwood Green an der Rezeption ihre Unterschriften unter die Anmeldeformulare setzten. Trotz der fortgeschrittenen Zeit mußte der Engländer alle Überredungskünste aufwenden, um seine Begleiterin davon zu überzeugen, daß ein wenig Schlaf im Moment mehr nützte als hektische Aktivität. Angela machte einen recht niedergedrückten, hilflosen und gleichzeitig nervösen Eindruck. Die Aufgabe, der sie sich zunächst so souverän gestellt hatte, schien sie nun doch ein wenig zu überfordern. Und auch die Nachtruhe und das opulente Frühstück am nächsten Morgen im verglasten Dachgeschoß des Park Plaza wirkten sich nicht positiv auf ihren Gemütszustand aus. Deshalb entschloß sich Green, ihr all die Formalitäten der Leichenüberführung zu ersparen und sich zunächst einmal alleine um die Angelegenheit zu kümmern.
    »Ich denke, ich werde mal alleine losziehen und hören, wie der Überführungsvorgang ablaufen soll, okay?«
    Ihrem Kopfnicken war deutlich anzusehen, daß sie Greens Vorschlag mit Erleichterung akzeptierte.
    »Am besten wird sein, du gehst kurz in dein Zimmer und holst die offiziellen Papiere, die ich vielleicht brauche. Außerdem schreib mir bitte eine Vollmacht, daß ich in deinem Auftrag handle, sonst werden die Cops kein Wort mit mir wechseln. Wir treffen uns gleich im Foyer, einverstanden?«
    Zehn Minuten später drückte ihm Angela die Unterlagen in die Hand. Green nickte ihr aufmunternd zu. »Alles klar. Du kannst dir ja dann am Pool ein wenig Zerstreuung holen, bis ich zurück bin.«
    »Ach, ich glaube, ich ziehe mich besser in mein Zimmer zurück. Mir ist im Moment wahrlich nicht nach Drinks, Pool und Menschen zumute.«
    Green nickte etwas abwesend, weil er gerade die Papiere überflog. Plötzlich stutzte er und deutete auf eine der Kopien. »Was soll denn das hier heißen: Sie werden zur Abwicklung der Überführungsformalitäten am 15. Juli … und so weiter … in New Haven erwartet? Heute ist erst der vierzehnte! Wir sind einen Tag zu früh hier!«
    Sie nickte. »Ich weiß. Aber ich kann nicht einsehen, warum wir die Formalitäten nicht heute schon erledigen sollten.« Sie stockte kurz.
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