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Der Infekt

Der Infekt

Titel: Der Infekt
Autoren: Linda Budinger
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Nummer zwei in den USA. Direkt nach dem Tod beim Sex. Wussten Sie das?« Shultz lachte. »Hauptsache, man weiß, wo der Hammer hängt.«
    Cotton ließ den Spott an sich abperlen, aber leicht war es nicht.
    Shultz deutete seinen verkrampften Gesichtsausdruck falsch. »Machen Sie sich keine Sorgen. Sicher, beim ersten Mal ist es komisch, aber man vergisst die kleinen Helferlein ganz schnell.«
    »Kaum vorstellbar«, murmelte Cotton. Als er in der Infobroschüre des Krankenhauses von alternativen Heilmethoden gelesen hatte, hatte er an Akupunktur, Homöopathie oder dergleichen gedacht. Aber wie es schien, verdankte die Klinik ihre durchschlagenden Erfolge buchstäblich einer biblischen Plage. Sie war spezialisiert auf Insektenheilkunde, die Anwendung von Giften oder anderen tierischen Produkten.
    »Sie haben also schon Erfahrung mit den Biestern?«, fragte er, um die Unterhaltung nicht abreißen zu lassen.
    »Ja. Ich leide an Diabetes und habe ein offenes Bein. Die emsigen Pinkies fressen nur das abgestorbene Gewebe und helfen damit dem Körper bei der Heilung.«
    Pinkies – das war die verharmlosende Beschreibung für die Maden der Goldfliege. Cotton ekelte sich jetzt schon bei der Vorstellung, die sich windenden fetten Fliegenlarven auf der Haut zu spüren. Aber da musste er durch, wenn er wieder auf seinen Posten wollte.
    »Ich sehe Insekten nun mal am liebsten vom richtigen Ende einer Sprühdose aus«, bemerkte er.
    Eine Schwester mit einem abgedeckten Tablett betrat den Raum. Vera Hernandez stand auf ihrem Namensschild.
    Cottons Herzschlag schnellte in die Höhe, und das lag nicht nur an der attraktiven Frau mit dem kastanienbraunen Pferdeschwanz.
    Neben ihm lachte Mrs Kelly über Cottons Bemerkung. Die alte Dame war braun gebrannt, und sie trug keinen sichtbaren Verband. »Wenn Sie die netten Tierchen hier schon als Insekten bezeichnen, dann kommen Sie mal in meinen Teil der Welt. In Down Under haben wir die größten und giftigsten Krabbeltiere aller fünf Kontinente«, sagte sie mit ausgeprägtem australischem Akzent. »Und ausgerechnet in Amerika erwischt mich ein Keim, gegen den nur Maden helfen.«
    »Wir in den USA haben eben auch einige üble Gesellen auf Lager«, meinte Cotton. Dabei musste er wieder an die beiden Schlägertypen in dem Auto denken, die auch heute wieder vor dem Eingang parkten.
    Das Lächeln der Krankenschwester brachte Cotton auf andere Gedanken. »Tut mir leid, dass Sie warten mussten«, wandte sie sich an die drei. »Es gab eine kleine Verzögerung bei der Lieferung unserer Mikrochirurgen. Kommen Sie doch gleich mit, Mrs Kelly.« Sie deutete auf den Sichtschutz am Ende des Raumes. »Noch eine Behandlung, dann können Sie voraussichtlich wieder reisen!«
    »Das will ich doch hoffen«, sagte Mrs Kelly säuerlich. »In meinem Alter zählt jeder Tag!«
    Ein Arzt kam herein, ebenfalls mit einem Tablett, das unter einem grünen Tuch verborgen war. Es war der grau melierte Dr. Carter, der mit Cotton das Vorgespräch geführt hatte.
    Carter begrüßte die beiden Patienten, setzte das Tablett ab und zog das Tuch zur Hälfte herunter.
    Cotton, der eine wimmelnde weiße Masse erwartet hatte, sah nur zwei Päckchen aus Gaze in einer mit seinem falschen Namen beschrifteten Nierenschale. Darunter stand »Lucilia sericata«auf dem Gefäß. Es schien für ihn noch einmal auf einen Verbandswechsel hinauszulaufen. Unwillkürlich atmete er aus.
    Doch das Verbandsmaterial lebte. Man ahnte die leichten Bewegungen darunter mehr, als dass man sie sah.
    Cotton erinnerte sich, dass der Arzt zuvor etwas von »Freigängern« und »Bio-Bags« erzählt hatte, zwei unterschiedlichen Methoden der Madentherapie. Freigänger waren Maden, die direkt in die Wunde unter einem lockeren Verband angesetzt wurden. In den Bio-Bags dagegen waren die Maden eingesperrt und erledigten ihre Arbeit durch die dünne Gaze. Sie spuckten Verdauungsenzyme in die Wunde, die nur das tote Gewebe zersetzten, von dem sich die Maden dann ernährten. Es schauderte Cotton allein bei dem Gedanken daran.
    Hinter dem Paravent hörte man einen schmerzerfüllten Laut. Die Schwester steckte den Kopf hervor: »Dr. Carter, können Sie bitte mal einen Blick auf Mrs Kelly werfen?«
    Der Arzt eilte herbei.
    Shultz hatte Cottons Reaktion beobachtet. »Die Pinkies wurden schon im Bürgerkrieg eingesetzt, als man noch keine wirksamen Medikamente kannte. Was für unsere Vorfahren gut war, kann für uns doch nicht verkehrt sein.«
    Sehr tröstlich, dachte
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