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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier
Autoren: Ana Veloso
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der verwischten Tinte eine große Kostbarkeit. »Isabel«, flüsterte Amba und eilte davon, um den Brieföffner zu holen. Die wenige Post, die sie hier erreichte, musste man mit Sorgfalt behandeln und nicht etwa durch ungeduldiges Aufreißen des Umschlags entehren. Die Briefe wurden gehütet wie ein Goldschatz, so dass auch nachfolgende Generationen sich daran würden erfreuen können.
    Goa, im November
1636
    Meine lieben Freunde,
    da Euer letzter Brief, der mich erreichte, derjenige war, in dem Ihr von der Geburt Eurer Tochter Anita berichtetet, darf ich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass Ihr wohlauf seid und die Hindernisse, die Ihr in der brasilianischen Gesellschaft vorfandet, aus dem Weg räumen konntet. Ich habe keinerlei Zweifel daran, dass Ihr Euch in Eurer neuen Heimat schnell eingelebt habt und mittlerweile zu Wohlstand und Ansehen gelangt seid. Mit dem Export von Zucker dürftet Ihr in kurzer Zeit vermögend werden, denn ganz Europa verzehrt sich nach den süßen Kristallen.
    Ich selber erfreue mich bester Gesundheit und eines überaus frohen Gemüts: Ein gütiger Gott – oder gutes Karma? – hat mich wieder nach Goa geführt. Ich erreichte die Küste Südindiens vor knapp drei Wochen, und diesmal war die Ankunft von herrlichem Wetter sowie euphorischer Stimmung begleitet, denn ich reise mit meinem Ehegatten, der, genau wie ich, über ein abenteuerlustiges Naturell verfügt und sich über die Maßen auf das Neue freut, das vor uns liegt.
    Für den Fall, dass mein letzter Brief Euch nicht erreicht hat, denn es geht ja auffallend viel Post verloren, resümiere ich: Ich habe mich mit Felipe Lisboa de Pinto vermählt, einem jungen Naturforscher, der mir begegnete, als der unglaubliche Diamant in einer Runde von Wissenschaftlern aller Art bestaunt wurde. Die Liebe traf mich wie ein Schlag, und erst jetzt begreife ich, dass meine vorübergehende Vernarrtheit in Miguel der Einsamkeit oder den etwas ungünstigen Umständen meiner ersten Indienreise entsprang.
    Wir werden uns etwa zwei Monate in Goa aufhalten, damit Felipe sich an Klima, Nahrung und fremde Lebensweise gewöhnen kann. Danach wollen wir in das Mogulreich aufbrechen. Ach, Ihr Lieben, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich der Reise entgegenfiebere! Endlich werde ich das berühmte Taj Mahal sehen, das sich zwar noch immer im Bau befindet, das jedoch bereits jetzt alles in den Schatten stellen soll, was es in Europa an großartigen Bauten gibt. Endlich werde ich das wahre Indien kennenlernen, und einen besseren Reisegefährten als Felipe könnte ich mir nicht erträumen. Mit der allergrößten Selbstverständlichkeit spricht er von Tigerjagden und anderen gefährlichen Unternehmungen, die wir gemeinsam erleben wollen. Er besteht sogar regelrecht darauf, mich jederzeit an seiner Seite zu haben, um sich mit mir austauschen zu können. Verzärtelte Damen, die zu Hause bleiben, immer das Riechsalz in greifbarer Nähe, sind ihm ein Greuel.
    In Goa hat sich nicht sehr viel geändert, seit ich – und Ihr ja nur wenig später – es verlassen habe. Maria Nunes errötet noch immer so schnell. Ihr Mann gilt als verschollen, doch sie trägt es mit Fassung, vermutlich auch deshalb, weil ihr zum Trauern wenig Zeit bleibt. Sie hat ja ihre kleine Tochter sowie Paulo, den sie nun offiziell als Kind angenommen hat. Dessen leiblicher Vater, Carlos Alberto Sant’Ana, wurde, wie mir der liebe Senhor Furtado nicht ohne Häme mitteilte, im vergangenen Jahr hingerichtet. Furtado und seine Frau sind wohlauf und sehr damit beschäftigt, den Umzug nach Pangim vorzubereiten. Furtado lässt Dir, lieber Miguel, ausrichten, Dein einstiger Bursche entwickle sich unter seinen Fittichen prächtig, und richtet Euch beiden die allerherzlichsten Grüße aus.
    Nach Pangim verschlägt es immer mehr Einwohner der einstigen Hauptstadt, die zusehends verwaist. Eine neuerliche Cholera-Epidemie sowie die regelmäßigen Überschwemmungen haben nun sogar einen so stoischen Mann wie Furtado dazu bewegt, sich den Veränderungen zu beugen. Pangim wächst zu einer schmucken Stadt heran, Ihr würdet es nicht wiedererkennen.
    Genug der Plauderei. Ich muss mich sputen, denn Felipe und ich sind gleich mit einem hiesigen Juwelier verabredet, der uns zwei zueinander passende Glücksamulette nach unserem Entwurf anfertigen soll. Ich hoffe, dieser Senhor Rui wird dem guten Ruf gerecht, der ihm vorauseilt.
    Solltet Ihr wünschen, dass ich jemanden hier aufsuche, lasst es mich wissen. In
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