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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier
Autoren: Ana Veloso
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nicht aus Goa stammen, würde es auch nicht weiter auffallen, dass Senhor Miguel kein Konkani spricht.«
    Senhor Furtados Bewunderung für die junge Frau wuchs mit jeder Minute. Sie war klug, und sie war mutig. Er ließ den Blick an ihr herabgleiten und versuchte sie sich in Männerkleidung vorzustellen. Ja, es könnte funktionieren. Das Schwierigste bei der Umsetzung dieses sehr gewagten Planes war jedoch, in den Kerker zu gelangen und den beiden Kerlen ihr Bündel abzunehmen, in der Hoffnung, dass sich die Dokumente auch tatsächlich darin befanden.
    Miguel hing ähnlichen Überlegungen nach, als er plötzlich einen Geistesblitz hatte.
    »Erinnert Ihr Euch noch an Euren ehemaligen
punkah wallah?
Crisóstomo?«, fragte er Furtado.
    »Gewiss.«
    »Er verfügt über die seltene Gabe, sich unsichtbar zu machen. Nein, lacht nicht, ich habe sein Geschick darin selbst erlebt. Es ist unglaublich. Schickt nach ihm und erklärt ihm die Lage. Er ist vertrauenswürdig, auch wenn Ihr anderer Meinung sein dürftet. Ihn könnt Ihr in den Kerker schicken, als Besucher dieser beiden Männer. Und Crisóstomo spricht Marathi, das macht das Ganze erst recht glaubhaft.«
    Furtado rollte vehement den Kopf, was alles bedeuten mochte, angefangen bei »oh weh, ob das gut geht?« bis hin zu »ein brillanter Einfall!«. Miguel hätte angesichts der erschrocken aufgerissenen Augen des Mannes am liebsten laut gelacht, riss sich aber zusammen. Es wäre ihrer Lage nicht eben zuträglich, wenn Furtado sich jetzt gekränkt fühlen würde.
    »In Ordnung«, sagte der Inder schließlich, »ich werde es versuchen.«
     
    Zwei Tage später bestiegen zwei prachtvoll herausgeputzte Inder eine Galeone von mittlerer Größe und nicht gerade neuesten Baujahrs. Die Besatzung staunte nicht schlecht über die exotischen Passagiere. Sonst beförderten sie immer nur einfache Leute, die Reichen bevorzugten andere Schiffe mit größeren und komfortabler ausgestatteten Kabinen. Das Gepäck der beiden entsprach ebenfalls nicht dem, was die meisten Passagiere, auch ärmere Leute, für eine so lange und ferne Reise mitzunehmen pflegten. Es waren nur zwei bescheidene Ledertruhen, mehr nicht. Aber gut, es waren eben Inder, und deren Hirne hatten ja bekanntlich andere Windungen als die von Weißen. Die Matrosen wendeten sich wieder wichtigeren Dingen zu, etwa den hübschen Mädchen, die am Pier standen und winkten.
    Auch Miguel, nun Chandra, und Amba, nun Pradeep, blieben an der Reling stehen und betrachteten das Gewusel am Pier, als fänden sie die Mädchen ebenso spannend. In Wahrheit hielten beide Ausschau nach etwaigen Verfolgern. Nur noch eine halbe Stunde!, flehten sie im Stillen, dann würde das Schiff die Leinen losmachen, und sie beide wären in Sicherheit. Bitte, lieber Gott, betete Miguel, lass nicht jetzt noch Carlos Alberto oder gar Frei Martinho auftauchen, die ihn vermutlich sofort identifizieren würden. Hilf, Parvati, rief Amba ihre Göttin an, sorge dafür, dass nicht im letzten Moment noch etwas schiefläuft.
    Die Gefahr war jedoch recht gering. Mit den echten Papieren von Chandra und Pradeep war es ein Leichtes gewesen, die Passage zu buchen. Dank der Unterstützung von Senhor Furtado waren die beiden Reisenden mit Geld, Kleidung und dem Nötigsten ausgestattet, das sie brauchten. Er hatte ebenfalls geschickt dafür gesorgt, dass das Gerücht von der Flucht des Paares gen Norden sich verbreitete, was die Verfolger auf eine falsche Fährte locken sollte. Er hatte zudem veranlasst, dass Beatriz eine Zahlungsanweisung zugunsten ihres Schwagers Miguel ausstellte, die diesen in Angola mit weiteren finanziellen Sicherheiten ausstatten würde, wenngleich es ein wenig Wartezeit bedeutete. Furtado hatte wirklich an alles gedacht, auch daran, Crisóstomo zur Belohnung für dessen mutigen Einsatz im Kerker im Kontor einzustellen, denn die Talente des Burschen waren bei einem
punkah wallah
in der Tat vergeudet. Weiterhin hatte er einen Schuldigen für die Betrügereien im Handelshaus Ribeiro Cruz ausgemacht. Dem alten Ribeiro Cruz schilderte er in einem Brief in allen Details, wie Miguel und er gemeinsam den Schuft, dem er einen Phantasienamen verpasste, entlarvt und dafür gesorgt hatten, dass er im Kerker landete.
    Zum selben Zeitpunkt, da Senhor Furtado wieder an seinem Arbeitsplatz saß und im Geiste durchging, ob er nicht doch etwas vergessen oder übersehen haben könnte, standen »Chandra« und »Pradeep« an der Reling und wälzten besorgt genau dieselben
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