Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hundeknochen

Der Hundeknochen

Titel: Der Hundeknochen
Autoren: Niklaus Schmid
Vom Netzwerk:
Räume, dann mußte ich verschwunden sein.
    Ich blieb in meinen Zeitplan, und niemand hielt mich auf.
    Gegen Mittag reichte ich bei meiner Bankfiliale den Scheck ein und versorgte mich, auch dies für alle Fälle, mit Bargeld. Ich war nicht schlauer als am Morgen, aber um fünftausend Mark reicher. Kein besonderer Trost angesichts der Tatsache, daß dieser Scheck mein letztes, womöglich gar mein allerletztes Honorar sein würde, wenn ich nicht höllisch aufpaßte. Andererseits, es gab Tage, die schlimmer anfingen.
    Noch immer schien die Sonne. In den Bäumen des Kantparks zwitscherten jene Vögel, die keine Mühe gescheut hatten, von Afrika in den Kohlenpott zu fliegen. Gegenüber dem Lehmbruckmuseum hockte eine Gruppe von Stadtstreichern im Halbkreis um eine Plastik, offiziell die ›Kniende‹, unter Pennbrüdern aber die ›Trinkende‹ genannt. Ihr zweites Frühstück, die erste Flasche Helles, hatten die Berber bereits intus. Mit blutunterlaufenen Augen diskutierten sie, wer als nächster mit der Aldi-Tüte losmarschieren und für Nachschub sorgen mußte: »Wat denn nu? Alt, Pils oder noch mal ein Helles? Oder Urwaldmaggi?« Es war ja nicht so, daß in diesen Kreisen keine Entscheidungen gefällt werden mußten.
    Hausfrauen zogen Einkaufskärrchen über die Sandwege des Parks, während ihre Männer auf Schicht waren und ihre Söhne die Chromteile der aufgemotzten Mofas polierten. Sonnenschein im Ruhrgebiet, was konnte es Schöneres geben? Auch ich war nach einer Woche Regen so richtig in der Laune, mich auf eine Parkbank zu setzen und zu gucken, ob die Frühlingsmode in diesem Jahr die Knie der jungen Mädchen frei ließ.
    Aber Sex war im Augenblick nicht das Hauptanliegen. Ich mußte meinen Klienten finden. Je früher ich ihn fand, desto größer war die Chance, daß er noch lebte, desto größer war auch meine Chance, daß ich heil aus der Sache rauskam.
    Ich zog Salms Brief aus der Tasche.
     
    Lieber Schlömm,
    ich gebe auf. In Angst zu leben, ist schlimmer als der Tod. Bewundert habe ich immer den Mut von Selbstmördern – nun weiß ich, dem Entschluß haftet nichts Großartiges an. Verachtet habe ich immer, wenn sie um das Nichts noch viel Aufhebens machten; genau das will ich vermeiden – ich gehe einfach. Leb wohl! Dein Freund Friedhelm Salm.
     
    Nachschrift: Danke für Deine Hilfe. Du hast getan, was möglich war.
     
    Auch beim dritten und vierten Lesen gaben die Zeilen nicht mehr Aufschluß. Es war der Abschiedsbrief eines Selbstmörders. Echt? Fingiert? Sollte mit den Zeilen ein Mord als Selbstmord dargestellt werden? Hatte Salm den Brief geschrieben, während ihm ein Killer die Pistole an die Schläfe setzte?
    Graphologen konnten so etwas herausfinden, nur fehlte dafür die Zeit. Doch hektische Betriebsamkeit war jetzt auch nicht das Richtige. Ich zwang mich zur Ruhe, streckte meine Beine bis halb in den Weg, lehnte mich zurück, schloß die Augen.
    Irgendwo gab es einen Hinweis, irgend etwas hatte ich in Salms Wohnung übersehen. Ich ließ die Räume vor meinen geschlossenen Augen an mir vorüberziehen.
    Das Wohnzimmer: gediegene Möbel, ein fast leerer Schreibtisch, keine Notizen, kein Terminkalender, ein steinerner Kamin, in dem ein rotes Licht unter künstlichem Holz glühte, Wandbehänge, Bücherrücken – insgesamt wirkte der Raum so steril wie das Ausstellungsfenster eines Möbelhauses. Geschmackvoll war der niedrige Schachtisch, vor dem ich gestanden hatte. Schöne Einlegearbeit, handliche Figuren von der richtigen Größe, ein paar lagen auf dem Teppich, der Rest bildete eine ungewöhnliche Stellung – so ging kein Spiel zu Ende. Salm hatte sich mit einem Schachproblem beschäftigt. Aber taten Selbstmörder das?
    Weiter! Die Küche: ein benutztes Glas in der Spüle, sonst alles sauber, keine Lebensmittel; wahrscheinlich hatte er nie für sich gekocht. Eigentlich sollte man Menschen, die keinen Spaß am Kochen haben, mißtrauen.
    Das Badezimmer: kein Schmutz, keine Blutspuren, nicht einmal Wassertropfen im Waschbecken.
    Das Schlafzimmer: ein großes Bett, ich hatte darunter geschaut; ein Kleiderschrank, ich hatte hineingeschaut; ein hoher Wandspiegel, auch da hatte ich reingeschaut, weil ich wissen wollte, ob es der Spiegel eines Voyeurs war, der sich selbst beim Liebesspiel beobachtete. Was hatte ich gesehen? Nichts!
    Oder doch? Halt! Da war etwas gewesen. Ein Bild tauchte auf. Und es paßte in einen Abdruck, der die ganze Zeit in meinen Hirnwindungen gelagert hatte. Mit dieser
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher