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Der Hueter und das Kind

Der Hueter und das Kind

Titel: Der Hueter und das Kind
Autoren: Vampira VA
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Tor.
    *
    Elias' Schreie schienen noch immer von den Wänden widerzuhallen, trotzdem er schon seit Minuten tot war. Blutige Wärme stieg aus seinem Leib auf und erfüllte den Flur mit dem Geruch des Todes. Er und der Anblick der furchtbaren Wunden lähmte die umstehenden Brüder, die, aufgeschreckt von dem Brüllen des Sterbenden, herbeigeeilt waren.
    Niemand sprach ein Wort.
    Nie hatte Monte Cargano Totenstille in einem wahreren Sinne erfahren. Um so lauter klang das harte Ticken auf dem Stein, das näherkam, einhergehend mit ungleichen Schritten.
    Schweigend öffneten die Brüder ihren Kreis, um Salvat hindurchzulassen.
    Der Großmeister erstarrte. Doch sein Entsetzen war von anderer Art als das der anderen. Es ging tiefer und es rührte an Dingen, von denen Salvat gehofft hatte, daß sie ihn nie bewegen würden.
    »Nein!« schrie er auf, mit fast überkippender Stimme. Fast brutal stieß er die Brüder, die ihn starren Blickes und offenen Mundes anglotzten, beiseite und lief los. Den Gang hinunter, durch eine Tür, weiter über steinerne Treppen, die sich tief in den Leib des Berges hineinwanden.
    Salvats Gedanken rasten.
    Wer immer für Elias' Tod verantwortlich war, er war nicht hierher gekommen, um den Ordensbruder zu ermorden. Elias mochte nur das Pech gehabt haben, ihm im Wege gewesen zu sein.
    Im Wege ...
    Dieser Weg, wußte Salvat, konnte den Mörder nur an einen Ort führen.
    Zum Tor! Zum Geheimnis Monte Carganos.
    Und wer immer es war, er konnte nur gekommen sein, um das Geheimnis zu lüften, das Tor zu öffnen!
    Das durfte nicht geschehen, nie! Nicht durch fremde Hand, nicht ohne Vorbereitung ...
    Tiefer und tiefer stürmte Salvat hinab, durch ein Labyrinth von Gängen und Treppen, in dem sich jeder Unkundige rettungslos verirren mußte. Nie zuvor war ihm der Weg so lang erschienen.
    Womöglich war er ja auch nie so lang gewesen? Wer wußte schon, welcher Art der Eindringling war, über welche Macht er verfügte ...
    »Ich komme zu spät«, flüsterte Salvat, ohne es zu wollen. Als wollte etwas Fremdes ihn mit Pessimismus quälen.
    Endlich erreichte er die Innere Halle. Beiderseits wuchsen die Säulen steinernen Bäumen gleich in die Höhe, um die in der Finsternis verschwindende Gewölbedecke zu stützen. Wie immer glommen die Wände ringsum in grünlichem Licht, woben das Heiligtum selbst in nebelhaftes Licht und zeichneten weich die Linien der Symbole und Hieroglyphen nach, die vor sehr, sehr langer Zeit in den Fels gemeißelt und bis heute nicht gedeutet worden waren.
    Auch das Heiligtum selbst bot den gewohnten Anblick: ein gewaltiges Tor aus geschwärztem Holz, das die gegenüberliegende Wand fast zur Gänze einnahm. Aus zwei Flügeln bestand es, und jeder war so riesig wie ein Haus. Mit Riegeln und Schlössern war es gesichert und über und über mit Nieten beschlagen, die aus der Entfernung betrachtet ein sinnverwirrendes Muster bildeten.
    Doch darin erschöpfte sich das gewohnte Bild auch schon.
    Alles andere - - war anders!
    Die zwölf Wächter des Tores lagen wie niedergeprügelt auf dem Boden der Halle. Und am Tor selbst hing ...
    Salvat schrie gepeinigt auf. Als wäre es sein eigener Schmerz.
    *
    Gabriel fühlte, daß er am Ziel war.
    Und er begann zu ahnen, was zu tun war.
    Aber er wußte, daß es noch zu früh war.
    Zudem durchdrang etwas den Fels, das ihm mehr und mehr zu schaffen machte: lautlose Schreie, die doch wie Donner in seinen Ohren und tiefer schmerzten; und damit einher ging etwas, das an seiner noch so jungen Kraft zehrte.
    Wahnsinn .
    Der Wahnsinn vieler!
    Dennoch - er war ein Kind. Und der Reiz, seine Kraft spielen zu lassen, nur ein einziges Mal und nur ganz kurz, war zu verlockend, als daß er ihm hätte widerstehen können.
    Er tat es.
    Und schlug die Augen auf.
    Tief unter Monte Cargano, am Fuß des Berges.
    *
    Aus der Distanz betrachtet wirkte die Gestalt wie ein Teil des geheimnisvollen Musters, das die Nieten auf das Tor zeichneten.
    Aber Salvat erkannte sie, als stünde er nicht viele Meter weit von ihr entfernt und tief unter ihr, sondern auf gleicher Höhe und durch nicht mehr als einen Schritt entfernt.
    Die Arme hielt sie seitlich ausgestreckt, die Füße lagen übereinander, am Holz des Tores durch Nägel gehalten.
    In der Haltung des gekreuzigten Heilands hing der andere am Tor.
    Der andere...
    Salvat verachtete sich dafür, daß er den Namen nicht einmal in Gedanken zu formulieren imstande war, so grenzenlos war sein Entsetzen.
    Das Entsetzen, das ihn
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