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Der Hüter des Schwertes

Der Hüter des Schwertes

Titel: Der Hüter des Schwertes
Autoren: Duncan Lay
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gab Martil Tomon zu verstehen und goss sich noch mehr Wein in den Mund.
    Er war tatsächlich widerlich. Wenn das wirklich der beste Wein sein sollte, den Norstalos zu bieten hatte, würde er sich demnächst wohl an Bier halten müssen.
    »Schmeckt doch eher wie Pferdepisse«, teilte er Tomon mit, und plötzlich kam ihm eine Idee. War das Tier in dem Lied ein Pferd?
    »Nein, das wird ja im zehnten Vers bestiegen«, erinnerte er sich und gab Tomon einen freundschaftlichen Klaps. Er sah sich um – vielleicht gab es im Wald ja ein Tier zu entdecken, das seinem Gedächtnis auf die Sprünge half. Sehr wahrscheinlich war das allerdings nicht. Er ritt durch reiches Bauernland. Aus dem fruchtbaren Osten Norstalos’ rumpelten regelmäßig Karren voller Erzeugnisse zu den Städten und Dörfern im Westen und Süden des Landes. Das Land schien unter der warmen Sommersonne zu schlummern, und offenbar hatte sich jedes Tier ein kühles Plätzchen für seine Mittagsruhe gesucht. Und auch die Straße war wie ausgestorben. Er selbst hatte sie nur gewählt, weil der direkte Weg zur Westküste von Norstalos ihn durch Berellia geführt hätte. Da fast jeder in diesem Land ihn wegen des Massakers von Bellic am liebsten bei lebendigem Leib brennen sehen würde, war ihm der Umweg vernünftig erschienen. Bald würde er sich wieder nach Westen wenden können, seinem Ziel zu. Dort wollte er in der Sonne sitzen und den Wellen dabei zusehen, wie sie auf den Strand schwappten.
    »Man würde diese Straße jedenfalls nicht des Ausblicks wegen bereisen«, erzählte Martil Tomon. »Erst nichts als Felder, und jetzt nichts außer verdammten Bäumen.«
    Sie waren gut für Schatten, aber nur wenig mehr. Er ließ seinen geübten Blick nach links und rechts durch den Wald schweifen. Kaum geeignet, um auch nur ein Regiment zu verstecken. Die Bäume standen oft weit auseinander, die Büsche waren niedrig. Dann fiel ihm wieder ein, dass er sich gar nicht um derartige Dinge kümmern sollte, und er versuchte, sich wieder seinem ursprünglichen Thema zuzuwenden.
    »Hier werde ich weder einen Wolf noch einen Bären zu Gesicht bekommen«, dachte er laut und fragte sich dann, ob das mysteriöse Tier ein Wolf war. »Nein, der Wolf kommt im zwölften Vers«, murmelte er und genehmigte sich noch einen Schluck Wein.
    Vielleicht sollte er die Finger von dem Wein lassen, damit sein Gedächtnis wieder etwas besser funktionierte. Er könnte ja heute Nachmittag ein Wirtshaus aufsuchen, das Trinken nachholen und sich genug in den Schlund schütten, um seinen Albträumen ein Ende zu bereiten. Obwohl es weniger die Träume, sondern eher die Stimmen waren; diejenigen derer, die darum baten, nicht getötet zu werden, und derer, die seine Seele verfluchten, wenn sie starben; und auch derer, die ihn anschrien, wenn er durch die Straßen seines Heimatlandes lief. Ein Schauder überkam ihn; er durfte seinen Gedanken nicht weiter so die Zügel schießen lassen.
    »Ich werde das Lied singen«, verkündete er und stieß den Korken wieder auf den Weinschlauch.
    Dann räusperte er sich und versuchte sich an den ersten Vers zu erinnern. Er fiel ihm nicht ein, also beschloss er einfach die Fetzen vorzutragen, an die er sich erinnerte. Sollte sein Pferd sich doch beschweren, wenn die Verse nicht in der richtigen Reihenfolge kamen.
    »Das … Etwas … fand einen Bären,
    der in der Winterkälte schlief.
    Es rutschte bis dicht hinter das Tier
    und bestieg es mit all seiner Gier.«
    Martil war kein besonders talentierter Sänger, aber was ihm an stimmlichen Fähigkeiten fehlte, machte er durch Lautstärke wieder wett. Vögel flogen krächzend aus ihrem Versteck hoch, und Tomon zuckte gereizt mit den Ohren, aber Martil ignorierte sie.
    Irgendetwas schien dem Lied zu fehlen. Das Witzigste an der Sache war, dass so ein unscheinbares Tier die Hauptrolle spielte. Aber der feinere Sinn dafür, dachte Martil, würde anderen Wildtieren in Hörweite wohl ohnehin abgehen.
    »Oh, die Bärin erwachte voller Grimm,
    verloren war des Schlafes Glanz;
    sie wollte doch nur schlafen,
    nicht spüren diesen Riesen…«
    Tomon hatte die Ohren zornig hin und her geschlagen und Martil fast abgeworfen, als er zum Ende der Strophe hin immer lauter wurde. Aber der Reiter ließ sich davon nicht aufhalten und versuchte den nächsten Vers.
    »Das Etwas fand einen Löwen,
    der lag im Regen und schlief,
    es schlich sich dicht dahinter
    und griff in die Mähne tief.
    Ohhh, der Löwe brüllte gewaltig!
    Was war das für
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