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Der Hort der Waechter

Der Hort der Waechter

Titel: Der Hort der Waechter
Autoren: Vampira VA
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er akzeptierte es. Nun, vielleicht gab es in diesem Punkt sogar eine Ausnahme. Insgeheim begrüßte er den Schnitter. Denn er würde nicht seinem Leben ein Ende setzen, sondern dem, was daraus geworden war .
    Der Gedanke verging, als löschte ihn eine Hand von einer Tafel .
    »Nein, ich fürchte mich nicht«, sagte Giuseppe Mazzano, während sein Blick über das Gehöft wanderte, das er hier, am Fuße der Abruzzen, mit seiner Frau bewirtschaftet hatte. Der Ertrag hatte zum eigenen Leben gereicht, und daneben hatten sie »in denen da oben« zuverlässige Abnehmer gehabt.
    Mazzano sah auf zu den Gipfeln. Seine trüb gewordenen Augen hatten Mühe, jenen Ort auszumachen, an dem die Bruderschaft sich niedergelassen hatte. Er wußte nichts über das Kloster, das wie der steinerne Horst eines monströsen Adlers dicht unterhalb des Berggipfels aus dem Fels ragte und oft in den Wolken verschwand. Ebensowenig wußte er, welchen Dingen der Orden jenseits der Mauern dort nachging. Es hatte ihn nie interessiert, so wie es auch seine Vorfahren nicht interessiert hatte, die das Kloster zu ihrer Zeit mit Feldfrüchten und Obst beliefert hatten. Zwischen den Mazzanos und der Bruderschaft schien über die Generationen etwas wie eine Symbiose bestanden zu haben - die Bauern versorgten die Mönche mit Nahrung, und im Gegenzug schienen ihre Gebete dafür zu sorgen, daß jede Ernte im nötigen Maße gedieh. Ihre Gebete, oder was immer sie dort oben taten .
    Doch diese Verbindung würde bald ein Ende finden. Giuseppe Mazzano wußte, daß jede Stunde seine letzte sein konnte, und er und Livia hatten keine Nachkommen gehabt, die fortan den Hof bewohnen und die Felder bestellen würden.
    Und der Junge .
    Nun, er war jung, zu jung. Und er war nicht sein Sohn, trotzdem er Giuseppe ans Herz gewachsen war - aber eben nicht in der Art eines eigenen Kindes, sondern vielmehr wie etwas, das sich vom Herzen anderer nährte .
    »Ich heiße den Tod willkommen wie einen Freund«, fuhr Giuseppe Mazzano schließlich fort, ohne den Knaben anzusehen. Sein Blick ging über den Hof, der sich in den vergangenen Wochen verändert hatte wie alles andere.
    Oh, der Mazzano-Hof war nie ein besonders ansehnlicher gewesen; schlicht war er gewesen und nicht im geringsten modern - aber gepflegt, ordentlich, sauber und aufgeräumt.
    Heute bot sich Giuseppe ein gänzlich anderes Bild. Hätte er nicht gewußt, daß dies sein Hof war, er hätte ihn für einen fremden gehalten.
    Das Anwesen erweckte den Anschein, als würde es seit langer Zeit nicht mehr bewirtschaftet, ja, nicht einmal mehr bewohnt. Dürres Pflanzenwerk rankte sich um Gerätschaften, Haus und Stallungen, und ein Gestank nach Moder und Verfall hing über allem. Die wenigen Tiere im Stall hatten seit langem keinen Taut mehr von sich gegeben .
    Der Tod war eingekehrt auf dem Mazzano-Hof, und er hatte alles an sich gerissen.
    Und nun griff er auch nach Giuseppe, der sich nichts mehr wünschte, als daß er jene kalte Hand endlich zu spüren bekäme, damit sie ihn nahm und forttrug aus diesem Leben, das keines mehr war. Einzig die Sorge um den Jungen hielt ihn davon ab, sich dem Sensenmann ganz und gar freiwillig zu stellen .
    »Was wird aus dir, wenn ich nicht mehr bin?« fragte der alte Mann. Nun endlich wandte er doch den Kopf und sah hinab auf den dunklen Lockenschopf des Knaben. Der hob seinerseits den Blick und sah Giuseppe an, aus blauen Augen, die ihm jedesmal aufs neue wie stille Seen vorkamen, in denen nichts als Unschuld war.
    Stille Wasser sind tief, ging es dem Alten durch den Sinn, zusammenhangslos, wie ihm schien, und so vergaß er den Gedanken wieder.
    Der Junge lächelte seltsam, wissend.
    »Sorge dich nicht um mich, Vater«, antwortete er dann. »Mein Weg ist mir vorbestimmt, und er wird mich an mein Ziel führen, ganz gleich, was um mich her geschieht.«
    »Dein Ziel?« echote Giuseppe. »Was ist dein Ziel? Willst du es mir verraten?«
    Der Junge schwieg und wandte sich ab. Doch sein Blick richtete sich wie zufällig himmelwärts, dorthin, wo hinter Wolken verborgen seit Ewigkeiten ein Geheimnis ruhte .
    Giuseppe dachte nicht darüber nach. Statt dessen fiel ihm ein, daß er ja nicht einmal den Anfang jenes Weges, von dem der Knabe gesprochen hatte, kannte. Wie aus dem Nichts war der Junge auf dem Hof aufgetaucht - und wie selbstverständlich bei ihnen geblieben. Und zur gleichen Zeit hatte es begonnen, war alles anders geworden ...
    Welch ein Zufall...
    Der Gedanke zwängte sich schmerzhaft in
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