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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann
Autoren: Daniel Silva
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zeigte Coyle die schwarze Silhouette eines Mannes, der dort allein saß. Er machte mit Lucy einen Rundgang um die Lichtung, überzeugte sich davon, dass sie nicht beobachtet wurden, und ging erst dann zu dem Mann hinüber. Erst aus zwei bis drei Metern Entfernung erkannte er, dass dies nicht sein gewohnter Führungsoffizier aus dem saudi-arabischen Geheimdienst war. Er hatte graue Schläfen und grüne Augen, die im Dunklen zu leuchten schienen. Den Neufundländer musterte er mit einem Blick, der Coyle einen kalten Schauder über den Rücken jagte.
    »Entschuldigung«, sagte Coyle. »Ich habe Sie mit jemand anderem verwechselt.«
    Er wandte sich ab, um zu gehen. Der Mann sprach ihn von hinten an.
    »Für wen haben Sie mich denn gehalten?«
    Coyle drehte sich um. Der Mann mit den grünen Augen hatte sich nicht bewegt.
    »Wer sind Sie?«, fragte Coyle.
    »Ich bin der, den Sie wie auch zuvor schon Nadia al-Bakari für dreißig Silberlinge an den saudischen Geheimdienst verkauft haben. Hätte ich allein zu entscheiden, würde ich Sie dafür umlegen. Aber heute Abend haben Sie Glück, Ellis.«
    »Was wollen Sie?«
    »Ich will Ihren Gesichtsausdruck beobachten, während man Ihnen Handschellen anlegt.«
    Coyle wich erschrocken einen Schritt zurück und sah sich ängstlich um. Der Mann an dem Tisch lächelte schwach.
    »Ich habe mich gefragt, ob Sie Ihr Los so würdevoll akzeptieren würden wie Nadia ihres. Diese Frage ist jetzt beantwortet, denke ich.«
    Coyle ließ Lucys Leine fallen und wollte flüchten, aber er wurde sofort von FBI-Agenten überwältigt. Gabriel blieb im Park, bis Coyle abtransportiert war, und ging dann zum MacArthur Boulevard hinunter. Am folgenden Tag spätnachmittags war er zurück in Cornwall.

71
    L IZARD -H ALBINSEL , C ORNWALL
    Er war ein anderer Mensch, als er aus Amerika zurückkam, das konnten sie alle sehen. Die Wunden waren geheilt, der Bann war gebrochen, und an welchem Übel er auch gelitten hatte, es schien sich endlich verflüchtigt zu haben. Nachdem Vera Hobbs ihm an einem regnerischen Morgen vor der alten Feuersteinkirche begegnet war, bezeichnete sie ihn als vollständig restauriert und fertig zum Einrahmen. Aber wem hatte er die Restaurierung anvertraut? »Unser geheimnisvoller Freund aus der Bucht ist niemand, der sich anderen anvertraut«, erwiderte Dottie Cox. »Ich vermute mal, dass er sich auf eine Staffelei gestellt und die Arbeit eigenhändig ausgeführt hat. Deshalb ist sie so gut gelungen.«
    Unterdessen war es wieder Spätherbst, und die Tage kurz: ein paar Stunden blässlicher Sonnenschein zwischen endlos langer Nacht. Sie sahen ihn vormittags, wenn er zum Einkaufen ins Dorf kam, und dann wieder nachmittags, wenn er allein über die Klippen wanderte. Von ernsthafter Arbeit war nichts zu sehen. Manchmal sahen sie ihn mit einem Skizzenbuch auf den Knien in seiner Veranda sitzen, aber die Staffelei in seinem Atelier blieb leer. Dottie fürchtete, er sei einer momentanen Antriebslosigkeit verfallen, aber Vera erklärte sich den Zustand anders. »Er ist erstmals im Leben glücklich«, sagte sie. »Jetzt fehlen seiner wunderbaren Frau und ihm nur noch ein paar Kinderchen.«
    Eigenartigerweise schien es jetzt Mrs.   Rossi zu sein, die ruhelos wirkte. Obwohl sie sich weiterhin freundlich und höflich verhielt, merkte man ihr an, dass sie den bevorstehenden Winter fürchtete. Sie beschäftigte sich damit, komplizierte Gerichte zu kochen, von denen die gesamte Bucht nach Rosmarin und Knoblauch und Tomaten duftete. Machte man an genau der richtigen Stelle halt, wenn im Haus die Fenster offen standen, konnte man sie mit ihrer sinnlichen Stimme italienische Lieder singen hören. Die Melodien waren unverkennbar traurig. Duncan Reynolds diagnostizierte einen Lagerkoller und schlug vor, die Frauen sollten sie zu einer Girls-only Night im Godolphin Arms einladen. Das versuchten sie. Die Einladung wurde dankend abgelehnt. Freundlich und höflich.
    Falls dem Restaurator die missliche Lage seiner Frau bewusst war, ließ er sich das äußerlich nicht anmerken. Weil Dottie Cox fürchtete, das Paar steuere auf eine Krise zu, beschloss sie, mit ihm zu reden, wenn sie einmal allein mit ihm im Laden war. Eine Woche verging, bis sich schließlich die Gelegenheit dazu bot. Er kam zur gewohnten Zeit herein – gegen halb elf –, nahm sich einen Plastikkorb von dem Stapel am Eingang und machte sich lustlos daran, ihn mit Lebensmitteln zu füllen. Dottie beobachtete ihn nervös von ihrem Platz an der
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