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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht hintereinander das gleiche träumen.«
    »Ich habe viermal im Traum hintereinander ein Mädchen gehabt«, sagte einer der Gehilfen weise. »Wenn man sich auf etwas konzentriert …«
    »Legt euch hin, ihr Rindviecher!« schrie der Kommissar. Er wickelte sich wieder in seine Decken und lag bis zum Morgen wach. Um ihn herum schnarchten wieder die drei Gehilfen.
    Die Glocke läutete nicht wieder.
    Übernächtig saß Sergeij Pondrezkij am nächsten Morgen hinter seinem Schreibtisch und philosophierte über sein Gehirn nach. Glocken, durchfuhr es ihn. Reaktionäre Glocken träume ich. Ich, der Kommissar und Kommunist! Das ist eine Schande für die Partei und ein Hemmnis meiner Karriere. Ausgerechnet Glocken!
    Er überdachte sein Leben und fand heraus, daß es zweiundzwanzig Jahre her war, seit er die letzten Glocken in Jekaterinenburg gehört hatte. Es waren häßliche Laute, denn er erlebte den Augenblick, an dem man aus dem aufgehackten Turm der Kirche die großen bronzenen Glocken hinunter auf den Marktplatz schleuderte, wo sie in tausend Stücke zerschellten.
    Vor Einbruch der neuen Nacht zog Pondrezkij um. Er schlug sein Bett in der Wirtschaft von Jerinski auf. Der Ortswechsel schien etwas Gutes zu haben … er träumte in dieser Nacht und in den folgenden Nächten nicht mehr von Glocken.
    Das Dorf Nowy Wjassna aber rettete seine Glocke und seinen hölzernen Christus. Während Pondrezkij glücklich schlief, bauten die Bauern den Altar und die Glocke aus der doppelten Wand der stolowaja aus und versteckten beides im Stroh von Bergners Scheune.
    »Sie soll in der Heimat unsere Freiheit einläuten«, sagte der Bauer Borweck pathetisch. »Und unser Christus soll endlich von einem richtigen Pfarrer gesegnet werden …«
    Was wußten sie alle von dem Deutschland, das sie heimrief –
    *
    Am 15. Oktober rasselten Raupenschlepper und große, hohe Lastwagen über die verschneite Straße von Miakolowitschi, drückten den Schnee zur Seite und bahnten sich eine Schneise nach Nowy Wjassna.
    Die Bauern lagen noch in ihren Betten und hatten die Vorhänge vor die zugeklebten Fenster gezogen, als die Kolonnen über die Dorfstraße klirrten. Sie hatten sich sicher gefühlt, als der Schnee drei Tage lang ununterbrochen aus dem bleigrauen Himmel rieselte und die Dörfer und Wälder, die Sümpfe und Straßen und überhaupt alles, was über der Erde lag, in weiße, sanft geschwungene Wellen verwandelte.
    »Sie kommen nicht mehr durch«, hatte Piotr gesagt, der als der Sorgloseste von allen mit einem Schlitten in Richtung Korosten fuhr und erst umkehrte, als das Pferd bis zum Bauch im Schnee versank und aus der Ferne, vom Pripjet her, das erste Heulen der hungrigen Wölfe das Schneetreiben durchschnitt.
    »Sie kommen nicht durch, Freunde! Jetzt haben wir Ruhe bis zum Mai.«
    Man kannte in Nowy Wjassna nicht die Raupenschlepper aus Shitomir und nicht die Schneepflüge, wie sie am Rande der Taiga von den großen Schneeräumbrigaden eingesetzt werden. Hier, in Wolhynien, grub man die Straßen noch frei, so, wie man es seit Hunderten von Jahren gemacht hatte. Das ganze Dorf zog mit Schaufeln hinaus … erst wurde ein Gang vom eigenen Haus aus zur Straße geschaufelt, und von dort, so, wie Fuchsgänge zu einem Lager zusammenkommen, grub man die Straße hinaus in die Freiheit frei … Das gleiche taten die anderen Dörfer … man grub sich entgegen, und wenn man sich traf, trank man einen scharfen Wodka und feierte das harte Stück Arbeit.
    In der Nacht kam dann ein Sturm, der Schnee wehte über Steppe und Sumpf, die Gräben füllten sich wieder. Am Morgen war die Einsamkeit wieder vollkommen, und die Welt war vereinheitlicht zu weißen, sanften Hügelwellen.
    Monate ging es so. Man kannte es nicht anders.
    Und nun kamen durch die unendlichen Schneefelder Autos und Traktoren, vermummte Menschen, in Pelzen und Steppmänteln verborgen, sprangen in den Schnee und klopften die Hände aneinander.
    Die Bauern drückten sich an den Scheiben ihrer Fenster die Nasen platt. Dann drückten sie die Türen gegen den Schnee auf und stapften hinaus in die klirrende Kälte.
    Kommissar Pondrezkij war wieder da, und mit ihm waren Igor Igorowitsch Semjow und drei Beamte aus Shitomir gekommen. Als sich die Planen der Wagen hoben, erstarrten die Gesichter hinter den Scheiben. Frauen und Kinder, Männer und Greise sprangen in den Schnee und sahen sich um.
    Mit langen Schritten, in hohen Filzstiefeln, watete Rudolf Bergner auf Semjow und Pondrezkij zu. Er hatte
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