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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter
Autoren: Oliver Pötzsch
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längst nicht so viele Ratten. Nach der Hölle der vergangenen Tage war das für Nepomuk beinahe wie im Paradies.
    Eigentlich hatten sie heute früh mit der Folter fortfahren wollen, und der Mönch hatte sich die ganze Nacht mit Gebeten auf die große Reise vorbereitet. Nepomuk wusste, dass er einen weiteren Tag mit Torturen nicht überstehen würde. Sechs seiner Finger waren mittlerweile gebrochen, bei den anderen hatte ihm Meister Hans einzeln die Nägel gezogen. Die rechte Schulter war ausgekugelt und pumpte Schmerzen bis hinauf zu seiner Schädeldecke; Arme und Beine waren mit Brandwunden übersät.
    Nepomuk war sich sicher – der heutige Tag würde die Torturen beenden. Entweder er würde unter der Folter sterben oder schreiend und halb wahnsinnig alles gestehen, was sie von ihm verlangten. Den anschließenden Scheiterhaufen würde er nur noch als Erlösung empfinden.
    Die Tür öffnete sich nun ganz, und Nepomuk sah, dass Meister Hans auf der Schwelle stand.
    »Bist du doch noch gekommen, um mich zu holen?«, krächzte er dem weißhaarigen Mann mit den roten Augen zu, der ihn in seinen Alpträumen wieder und wieder heim­gesucht hatte. »Hab schon gedacht, ihr hättet mich vergessen.«
    Meister Hans schüttelte den Kopf, seine Lippen waren ­schmal, die rattengleichen Augen schienen im Dunkeln zu glühen. »Die Tortur wird ausgesetzt«, knurrte der Weil­hei­mer Scharfrichter. »Weiß der Kuckuck, wer das wieder an­geordnet hat! Du scheinst mächtige Fürsprecher zu haben, Mönch.«
    »Die Tortur … wird ausgesetzt?« Nepomuk versuchte sich aufzurappeln, doch er war zu schwach. Stöhnend fiel er zurück auf den Boden und glotzte sein Gegenüber an wie ein geprügelter Ochse. »Aber … aber wieso?«
    »Frag mich nicht. Die Wege der hohen Herren sind unergründlich.« Meister Hans pulte ein Stück Fleisch zwischen den Zähnen hervor und schnippte es in das stinkende Stroh.
    Dann begann er lauthals zu schimpfen: »Die ganze Arbeit war umsonst! Dabei hatte ich dich doch schon fast so weit. Aber die werden mir jeden Heller zahlen, jeden Heller!« Er grinste. »Was soll’s! Dafür hab ich heute früh zwei neue hübsche Galgenvögel geliefert bekommen. Und für dich hab ich Besuch.«
    Er trat zur Seite, und neben ihm tauchte ein Mann auf, von dem Nepomuk zunächst glaubte, auch er stamme aus seinen Träumen. Er war über sechs Fuß groß, mit zottigen schwarzen Haaren, einem fleckigen Mantel und einer Hakennase. Und er rauchte.
    »Teufel auch«, brummte Jakob Kuisl und zog an seiner Pfeife, während er seinen verletzten Freund prüfend musterte. »Da hat Meister Hans wirklich gute Arbeit geleistet. Es wird bestimmt Wochen brauchen, um dich Madensack wieder herzurichten.«
    »Nicht wahr?« Der Weilheimer Scharfrichter an seiner Seite lächelte. »Ein Meisterstück. Aber leider war dein Freund zu störrisch. Hätte sich vieles ersparen können, wenn er nur eher gestanden hätte. Wenn du willst, kann ich ihn dir auch wieder kurieren. Kostet allerdings ein wenig.«
    Kuisl winkte ab. »Lass gut sein, Hans. Du bist vielleicht der Bessere beim Torquieren, aber das Heilen übernehm dann doch ich. Dafür braucht es nämlich etwas, das dir der Herrgott leider nicht mitgegeben hat.«
    »Und das wäre?«
    »Ein Herz.«
    Jakob Kuisl drückte dem verdutzten Scharfrichter ein paar Münzen in die Hand. »Hier, damit du uns einen ­Moment alleine lässt. Und jetzt geh mir endlich aus den Augen.«
    Achselzuckend schlurfte Meister Hans hinaus auf den Gang, wo er die Münzen hochwarf und geschickt wieder auffing.
    »Du warst immer schon zu weich für diese Arbeit, Kuisl!«, rief er noch in den Kerker hinein. »Wer zu viel fühlt, der träumt nur schlecht. Was ist, Kuisl? Träumst du schlecht?«
    Jakob Kuisl würdigte ihn keiner Antwort. Er schritt auf seinen Freund zu, der vor ihm auf dem harten Lehmboden kauerte. Dann zog der Henker Nepomuk wie ein Kind zu sich hoch und umarmte ihn.
    »Es ist vorbei, Nepomuk«, flüsterte er. »Es ist vorbei.«
    »Vor… vorbei?« Der dicke Mönch starrte sein Gegenüber ungläubig an. Seine Augen waren von den Schlägen der Andechser Jäger noch immer zugeschwollen, Fliegen umkreisten die schorfige Lippe. »Du meinst, ich bin … frei?«
    »Ich kann dich nicht selbst mitnehmen«, erwiderte der Henker tonlos. »Das steht nicht in meiner Macht. Aber der Andechser Abt hat mir bei allen Heiligen versprochen, dass er dich schon bald hier rausholt.« Kuisl grinste. »Der hohe Herr ist mir noch
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